Rassismus in der Schweiz 2014

Zürich, 31. Dezember 2014

Zwei Ereignisse beeinflussten das Berichtsjahr 2014: Zum einen die «Masseneinwanderungsinitiative», die am 9. Februar vom Schweizer Stimmvolk mit 50,3% Ja-Stimmen angenommen wurde, zum anderen der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen im Juli, in dessen Folge hauptsächlich antisemitische Vorfälle, vor allem im Internet, massiv und in einem neuen Ausmass zunahmen. Muslimische Verbände berichten, dass sich 2014 die Anzahl islamophober Zwischenfälle in etwa gleicher Höhe bewegten wie in den Vorjahren. In der rechtsradikalen Szene lässt sich ebenfalls keine grosse Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren feststellen. 

Im Vorfeld der «Masseneinwanderungsinitiative» wurde seitens der Befürworter mit polemischen Schlagworten argumentiert: Es gebe einen «unkontrollierten Zustrom von Ausländern» sowie «Asylmissbrauch» und «Ausländerkriminalität». Gegner der Vorlage sahen das Abstimmungsergebnis auch als Beleg für zunehmend fremdenfeindliche Tendenzen in der Schweiz. So heisst es zum Beispiel im Newsletter 2014 des Studienbereichs Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit der Universität Freiburg: «Die Argumente der Masseneinwanderungsinitiative sind eng mit dem Anspruch auf Regulierbarkeit ‹erwünschter› Migration und planvoller Steuerung von Migrationsbewegungen verbunden. Die Idee des Komitees, Migranten ‹unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer bei der Arbeitssuche› im Arbeitsmarkt zu platzieren, folgt in diesem Sinne dem Credo der europäischen und schweizerischen Migrationspolitik. Dabei ist festzustellen, dass die angestrebte Verwaltung der Migrationsbewegungen eng gekoppelt ist mit der ökonomischen Verwertung der migrantischen Arbeitskraft und eine rassistische Arbeitsteilung generiert (…).»
Im Januar 2015 wurde von zwei Zürcher Anwälten beim Bundesgericht Abstimmungsbeschwerde gegen die «Masseneinwanderungsinitiative» eingereicht, wegen des im Vorfeld der Abstimmung verwendeten Inserats der SVP «Kosovaren schlitzen Schweizer auf!», das ab dem Spätsommer 2011 für die Initiative warb. Die Beschwerdeführer argumentieren, mit dem Inserat sei mit einer strafbaren Handlung in unzulässiger Weise auf das Resultat der Volksabstimmung zur SVP-Masseneinwanderungsinitiative eingewirkt und das knappe Resultat vom 9. Februar 2014 entscheidend verfälscht worden. Weiter ist gegen zwei SVP-Kader wegen mehrfacher Rassendiskriminierung im Inserat Anklage erhoben worden.
Weiter kam 2014 die sogenannte «Ecopop-Initiative» zur Abstimmung. Im November 2012 war diese eidgenössische Volksinitiative, die einen «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» forderte, bei der Bundeskanzlei eingegangen. Die Volksinitiative forderte unter anderem eine «Beschränkung der jährlichen Nettozuwanderung in der Schweiz auf durchschnittlich 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung». Die Initiative kam am 30. November 2014 zur Abstimmung, wo sie mit 74,1 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt wurde.

ECRI-Länderbericht 2014
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat in ihrem Rassismus-Länderbericht 2014 auch die Schweiz beurteilt und würdigt darin «das kontinuierliche Engagement der Behörden in der Schweiz und deren unmissverständliche Verurteilung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit».
Der politische Diskurs in der Schweiz sei aber teilweise ausländerfeindlich und rassistisch. Das führe dazu, dass das Ansehen und die Lebensbedingungen von dunkelhäutigen Menschen, von Flüchtlingen und von Jenischen sowie anderen Roma-Gruppen erheblich verschlechtert werde. Wie auch die GRA-Chronologie für das Berichtsjahr 2014 festhält, erleiden dunkelhäutige Menschen in der Schweiz noch immer täglich Beleidigungen und Beschimpfungen.
Ausserdem schriebt die Eidgenössische Kommision gegen Rassismus (EKR) im Sommer 2014 in einer Medienmitteilung: «Seit einiger Zeit erscheinen in den sozialen Medien Aufrufe zu Hass und Gewalt, die die Rassismus-Strafnorm verletzen. Opfer solcher Aufrufe sind derzeit die Juden, die direkt mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in Verbindung gebracht werden. Doch auch andere Bevölkerungsgruppen wie die Muslime oder die Schwarzen, um nur zwei der am meisten betroffenen zu nennen, waren schon solchen Angriffen ausgesetzt.»

Antisemitismus
Für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus ist vor allem der Antisemitismus von in der Schweiz lebenden Musliminnen und Muslimen, wie er 2014 zum Vorschein kam, etwas Neues. Die beiden Organisationen stellen fest, dass das Phänomen des muslimischen Antisemitismus bisher zu wenig wahrgenommen wurde. Vor allem in sozialen Medien wie Facebook wird ganz konkret zu Gewalt gegen Juden aufgerufen – von Leuten, die mit ihrem Namen und sogar mit Profilbildern offen zu ihren Aussagen stehen – eine neuere Entwicklung. Der SIG und die GRA schreiben in ihrem gemeinsamen Antisemitismus-Bericht 2014 (www.antisemitismus.ch), dass es 2014 fast dreimal so viele antisemitische Vorfälle gab wie im Vorjahr. Ein Grossteil davon stand in Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza im Sommer 2014. Antisemitische Äusserungen im Internet und in sozialen Medien sind in dieser Zahl nicht eingeschlossen.
Die tatsächliche Anzahl von antisemitischen Übergriffen ist vermutlich höher, denn es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit davon nicht gemeldet wird. So haben SIG und GRA Kenntnis von Übergriffen und Schmierereien, die auf Wunsch der Opfer oder der Melder nicht thematisiert oder mitgezählt werden.
Im Internet, vor allem in sozialen Medien, aber weniger auf Blogs und auf statischen Webseiten, wurde im Berichtsjahr besonders aggressiv und in einem von SIG und GRA noch nie zuvor beobachteten Ausmass gegen Juden gehetzt. Zurzeit sind gesamthaft noch über zwanzig Anzeigen von SIG und GRA hängig wegen Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm.

Islamophobie
Die Anzahl muslimfeindlicher Zwischenfälle blieb im letzten Jahr in etwa konstant. In der zweiten Hälfte des Jahres konnte allenfalls eine Zunahme an muslimfeindlichen Einträgen in sozialen Medien registriert werden; Hintergrund dazu sind sicherlich die Gräueltaten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und Schlagzeilen über andere islamistische Terrororganisationen wie zum Beispiel Boko Haram in Nigeria. Diese Einschätzung teilt auch Hisham Maizar, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz FIDS und des Dachverbands islamischer Gemeinden der Ostschweiz und des Fürstentums Liechtenstein DIGO.
Allgemein gab es im Berichtsjahr wie schon die Jahre zuvor Beschimpfungen von Frauen mit Kopftuch auf der Strasse oder Hass- und Drohbriefe an islamische Organisationen in der Schweiz. Was vermehrt berichtet wird, ist, dass Muslime unter dem Generalverdacht stehen, dass «alle Terroristen» seien.

Rassismus-Studie des Bundes
Unter der Leitung der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes hat das Forschungsinstitut «gfs.bern» in den Jahren 2010, 2012 und 2014 je 1000 Schweizerinnen und Schweizer sowie 700 Ausländerinnen und Ausländer befragt. Gemäss dieser Studie war 2014 jede vierte Person in der Schweiz fremdenfeindlich eingestellt, konkret zeigten 24% der Befragten eine systematisch fremdenfeindliche Haltung.
Gegenüber nicht christlichen Religionen allerdings haben sich die Zahlen gemäss Studie bis 2014 verbessert. Die aufgeheizte Stimmung gegen Muslime während der Minarett-Initiative habe sich demnach bis 2014 gelegt. Damals gab fast die Hälfte der Befragten an, Muslime «unterdrückten Frauen», seien «fanatisch» und «aggressiv». Im vergangenen Jahr waren es nur noch 19 Prozent, die systematisch stereotype Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen hatten. Die Muslimfeindlichkeit hat laut Studie bis 2014 spürbar nachgelassen – wie sich die Situation jedoch zum Zeitpunkt der Publikation dieses Berichtes aufgrund der aktuellen Ereignisse wieder verändert hat, wird die nächste Rassismus-Studie zeigen.
Zur Judenfeindlichkeit hält die Studie konkret fest, dass 2014 bei 11 bis 15 Prozent der Befragten ein stereotyper Antisemitismus zu beobachten war. Dieser Wert liege, so die Studie, etwas unter den Werten, die 2010 und 2012 gemessen wurden. Jüdinnen und Juden werden dabei stabil die Eigenschaften «geldgierig» und «machthungrig» zugeschrieben. Seit 2010 im Sinken begriffen sind die Attestierungen von Erfolg im Geschäftsleben, Intelligenz und politischem Radikalismus. Auch wenn die Studie eine Abnahme der Judenfeindlichkeit feststellt, so äusserten sich diejenigen, die antisemitisch eingestellt sind, offensichtlicher und gewaltbereiter als in der Vergangenheit.

Rechtsradikalismus
Der Nachrichtendienst des Bundes schreibt in seinem Lagebericht 2014 zum Rechtsextremismus in der Schweiz: «Der gewalttätige Extremismus in der Schweiz ist nicht staatsgefährdend. Zudem ist seit rund zwei Jahren die Lage ruhiger als zuvor. Zum einen tritt die gewaltbereite rechtsextreme Szene kaum mehr öffentlich und organisiert auf; Gewalttaten haben meist spontanen Charakter, werden häufig unter Alkoholeinfluss verübt und lassen keinerlei strategische Dimension erkennen.» Und weiter: Über die letzten zehn Jahre ist die gewaltbereite rechtsextreme Szene geschrumpft.»
Die GRA verzeichnete 2014 ein Mal die Leugnung eines Völkermordes, 20 rechtsextreme Aufmärsche und weitere vereinzelte Zwischenfälle, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden können. Im Vergleich: 2013 gab es 15 registrierte rechtsextreme Aufmärsche, 2012 deren 16, 2011 deren 10. Wie aber auch der Lagebericht des Bundes festhält, sind «solche Jahresschwankungen kaum aussagekräftig. Die längerfristige Betrachtung zeigt eine seit Jahren währende Kontinuität – auf tiefem Niveau im Bereich des Rechtsextremismus.»