Einschätzung Rassismus 2006/1

Zürich, 31. Dezember 2006

Das neue Feindbild: Der Islam

Die Benachteiligung von Ausländerinnen und Ausländern wird auch an überraschenden Orten sichtbar. Beispielsweise in  der Rubrik „Just married“ der NZZ am Sonntag, wo ein frisch verheiratetes Paar – sie liberianischer, er schweizerischer Herkunft – von seinen Erlebnissen berichten lässt. Die Heirat sei ein „schwieriges  Unterfangen“ gewesen, da die Geburtsurkunde der Ehefrau von den Schweizer Behörden nicht anerkannt wurde. Und als die gemeinsame Tochter unehelich zur Welt kam, konnte weder die Frischgeborene bei der Einwohnerkontrolle registriert werden, noch der Vater seine Vaterschaft anmelden.  So existierte die Tochter eigentlich gar nicht, obwohl sie täglich schrie und die Windeln voll machte. Und der Kindsvater erlitt eine Einkommensminderung, da die Kinderzulage nicht ausbezahlt wurde. „Erst ein  halbes Jahr später und 2000 Franken ärmer hielt die Braut endliche die benötigte Urkunde in den Händen.“(1)

Wie seit vielen Jahren galt auch für das Jahr 2006 in der Schweiz: Wer nicht über einen Schweizerpass verfügt, wer nicht eine weisse Hautfarbe trägt oder sich nicht an einen festen Wohnort binden will, einer nicht christlichen Religionsgemeinschaft angehört oder nicht heterosexuelle Liebesverhältnisse bevorzugt, läuft in der Schweiz Gefahr, in der Öffentlichkeit ausgeschlossen, angepöbelt, beschimpft, bedroht oder in einzelnen Fällen gar körperlich angegriffen zu werden. Der Mechanismus des Hasses und der Ausgrenzung bleibt, die Feindbilder passen sich den gesellschaftlichen und politischen Bedürfnissen an. Seit Beginn der 90er Jahre richtet sich der Diskriminierungswille vornehmlich gegen Menschen aus den Ländern des einstigen Jugoslawiens sowie aus der Türkei. In den vergangenen Jahren sind aber auch vermehrt Menschen mit schwarzer Hautfarbe (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit) Opfer von Anfeindungen und Diskriminierungen geworden. Verschiedene Beobachtungen belegen, dass diese Menschen oft in nächtlich geöffneten Vergnügungslokalen, gelegentlich auch in Restaurants, unter Vorwänden nicht zugelassen werden.

In einigen Fällen folgt die Diskriminierung neoliberalen Wirtschaftsvorstellungen. So bezahlen AusländerInnen in vielen Fällen grössere Autoversicherungsprämien. Diese Ungleichbehandlung ist juristisch allerdings umstritten. In einem Gutachten kommt der Freiburger Staats- und Verwaltungsrechtler Bernhard Waldmann zum Schluss, dass diese Praxis rechtswidrig sei(2). Sowohl Bundesrat wie auch Nationalrat haben im März 2006 einen entsprechenden Vorstoss abgelehnt(3). Der Bundesrat hatte vorgebracht: „Da das Kriterium der Staatsangehörigkeit für alle im Bestand eines Versicherers umfassten Nationalitäten angewendet wird, also nicht bloss selektiv für gewisse Nationalitäten, kann die Verwendung dieses Kriteriums insbesondere auch nicht als Diskriminierung qualifiziert werden.“(4)

Auf Gesetzesstufe hat sich die eher ausländerfeindliche Grundstimmung in den revidierten Asyl- und Ausländergesetzen niedergeschlagen. Ende November 2006 wurden diese beiden Vorlagen, die zu den strengsten Asyl- und Ausländergesetzen in ganz Europa gehören, in Referendumsabstimmungen mit grossen Mehrheiten angenommen.

Muslimfeindschaft

In jüngster Vergangenheit sind fast überall in Europa die Muslime ins Visier der Fremdenfeinde und Rassisten geraten.  „Viele europäische Muslime sind – unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft und ihrer Einstellung zur Religion – Diskriminierungen in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Wohnungswesen ausgesetzt,“ dies ist eines der wesentlichen Ergebnisse einer Studie, die die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit EUMC Ende 2006 veröffentlichte (5). Die Diskriminierung von Muslimen könne sich auf islamophobe Einstellungen wie auch auf rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments berufen, da diese Elemente häufig miteinander verwoben seien. Feindseligkeit gegenüber Muslimen müsse deshalb im allgemeineren Zusammenhang von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gegenüber Migranten und Minderheiten gesehen werden (6).

In der Schweiz haben einerseits SVP-Exponenten in kantonalen Parlamenten (7), andererseits ad hoc-Komitees den Bau von Minaretten zum Ausgangspunkt auch rassistischer Kampagnen gemacht. Insbesondere behaupten sie, der Islam wolle die Welt erobern und Minarette seien Symbole für die Eroberung eines Gebietes. Aber auch die Partei National Orientierter Schweizer PNOS agiert gegen Muslime und organisierte Mitte Dezember 2006 in Langenthal eine Kundgebung „Stoppt die kulturfremden Bauten“.(8)

Die Muslimfeindschaft ist im vergangenen Jahr zum zentralen und politisch erfolgreich bewirtschafteten Thema der Diskriminierungswilligen in der Schweiz geworden. Es sind vor allem VertreterInnen des nationalkonservativen Milieus um SVP und AUNS, die seit Jahren Stimmungsmache gegen Muslime betreiben, allen voran Ulrich Schlüer in seiner Eigenschaft als Herausgeber der „Schweizerzeit“. Der Verlag betreibt ebenfalls einen „Bücherdienst“, in dem Schlüer seit mehreren Jahren muslimfeindliche Bücher bewirbt. Sie haben die Auseinandersetzungen um geplante Minarettbauten in Wangen bei Olten (9) und Langenthal (10) zum Anlass genommen, um die „Egerkinger Gruppe“ zu gründen, die das Ziel verfolgt, „die massive Opposition gegen Minarettbauten zu koordinieren.“ Der Gruppe gehören unter anderem Roland Kissling und Willi Schönenberger (beide SVP Wangen), SVP-Stadtrat Patrick Freudiger und Stefan Zeller (beide Langenthal), Hans Lieberherr (Madiswil), Kantonsrat und SVP-Schweiz-Pressesprecher Roman Jäggi (Fulenbach) sowie die SVP-Nationalräte Walter Wobmann (Gretzenbach) und Ulrich Schlüer (Flaach) an. Abwesend war ein weiteres Mitglied der Arbeitsgruppe, SVP-Kantonsrat Lukas Reimann (Wil SG) (11). Die Gruppe will die Lancierung von Volksinitiativen prüfen.

Die Auseinandersetzung in Wangen bei Olten, eindeutig aus muslimfeindlichen Motiven angezettelt, hat jedoch im Spätherbst 2006 eine zusätzliche Dimension erhalten, als bekannt wurde, dass der Türkisch-kulturelle Verein Olten als Betreiber der Moschee die Fahne der rechtsextremistischen Grauen Wölfe aufgezogen hatte.

Rassismus gegen Schwarze

In der Schweiz werden Menschen schwarzer Hautfarbe am häufigsten Opfer rassistischer Schikanierungen und Diskriminierungen, insbesondere auch von PolizistInnen. Sie müssen sich häufig ausweisen und Körperkontrollen gefallen lassen. Auch wird ihnen in nächtlichen Vergnügungslokalen öfter der Eintritt verweigert, selbstverständlich unter einem Vorwand. Menschen schwarzer Hautfarbe verfügen noch nicht über ausreichend starke Organisationen, um die vielfachen Schikanen und Demütigungen kontinuierlich in der Öffentlichkeit skandalisieren zu können (12).

Antisemitismus

Vor rund zehn Jahren führte die Auseinandersetzung um die nachrichtenlosen Vermögen und die Rolle der Schweiz während der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu einer Aktivierung des latenten Antisemitismus innerhalb der Schweizer Gesellschaft, doch hat sich diese Welle –  nach dem Abschluss der Globallösung – bald wieder gelegt. Kaum  Hinweise gab es 2006 auf den ‚neuen‘ Antisemitismus in der Schweiz, nämlich jenes Antisemitismus, der  vorwiegend von Muslimen, gelegentlich auch von Linken ausgehe und unter dem Vorwand der Israel-Kritik Antisemitismus betreibe.(13)

In der beschränkten Öffentlichkeit rechtsextremistischer Foren und Schriften allerdings platzieren einschlägige SchreiberInnen regelmässig antisemitische Beiträge, ebenso wie  Holocaust verharmlosende bzw. leugnende Ergüsse. Selbst wenn diese Äusserungen die Rassismus-Strafnorm verletzen, bleibt dies meist ohne Folgen, da niemand Strafanzeige einreicht (14). Erwin Kessler, Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), hat auch 2006 antisemitische Bemerkungen veröffentlicht, insbesondere auf der Vereins-Homepage. Einmal mehr springt er auch für den Holocaust-Leugner Jürgen Graf in die Bresche, indem er behauptet, Graf leugne weder die nationalsozialistische Judenverfolgungen noch die Massenermordungen und nehme die Naziverbrechen nicht etwa in Schutz. Kessler schreibt: „Zu 15 Monaten Gefängnis wurde er verurteilt, weil er Einzelheiten der offiziellen Geschichtsschreibung mit sachlichen Argumenten kritisierte. Deshalb musste er die Schweiz als politischer Flüchtling verlassen. Er lebt nun in Russland, wo er durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt ist und deshalb nicht an die Schweiz ausgeliefert wird.“(15)

Gemäss Medienberichten hat die Melde- und Beratungsstelle für antisemitische Vorfälle in der deutschsprachigen Schweiz, beauftragt vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund SIG, für die 16 Monate von September 2005 bis Dezember 2006 insgesamt 73 Vorfälle erfasst; davon seien 42 Vorfälle gegen jüdische Institutionen und 15 antisemitische Äusserungen im Internet. In der Tendenz zeige dies ein Ansteigen des Antisemitismus in der Deutschschweiz. (16)  Diese Einschätzung lässt sich durch die vorliegende Chronologie nicht belegen. (17)

Fahrende und Jenische

Trotz vieler Beteuerungen von BeamtInnen und PolitikerInnen haben Fahrende, insbesondere aber Roma ohne Schweizer Pass, immer noch Mühe, Durchgangs- oder allenfalls Standplätze zu finden, wenn auch in den vergangenen Jahren an einigen Orten neue Plätze eingerichtet wurden. Gelegentlich werden sie auch Ziel von gewalttätigen Angriffen (18).  Der Bundesrat hat in seinem Bericht „über die Situation der Fahrenden in der Schweiz“ denn  auch festgehalten, dass es „heute noch kein ausreichendes Netz von Stand- und Durchgangsplätzen (gibt), das allen 2’500 schweizerischen Fahrenden die Weiterführung ihrer traditionellen Lebensweise ermöglichen würde.“ (19)  Gemäss einem Gutachten der Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“ wären 29 zusätzliche Standplätze und 38 zusätzliche Durchgangsplätze erforderlich. (20) Auch im Jahr 2006 widersetzten sich  an mehreren Orten Kommunalbehörden wie Anwohner gegen Pläne zur Errichtung von Stand- bzw. Durchgangsplätzen (21).  Konflikte mit der sesshaften Bevölkerung treten allerdings weniger mit schweizerischen als mit ausländischen Fahrenden auf.

Fazit

In Teilen der Schweizer Gesellschaft haben sich nationalistische – gelegentlich rassistisch motivierte – Deutungsmuster für gesellschaftliche und soziale Probleme aller Art festgesetzt. Neben einigen Kleinparteien fördert auch die Regierungspartei SVP mit diffamierenden Kampagnen ein diskriminierungsfreundliches Klima. Die Schweizer Nationalkonservativen verbinden unter anderem nationalistisch-isolationistische  (beispielsweise die grundsätzliche Opposition gegen Beitritt zu oder Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie UNO oder EU) mit fremdenfeindlichen/rassistischen Ansichten, die sich einerseits gegen einreisewillige MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern, anderseits gegen die hier Niedergelassenen ohne Schweizer Pass richten. Sie können dabei auch auf einst staatlich gepflegte Traditionen zurückgreifen, beispielsweise auf den Überfremdungsdiskurs, das ‚Sonderfall-Schweiz‘-Denken, die Abneigung gegenüber festgeschriebenen und einklagbaren Menschenrechten für Minderheiten. Nationalkonservative ExponentInnen stellen sich auch immer wieder verteidigend, allenfalls verharmlosend vor Organisationen wie auch Auftritte der rechtsextremistischen Szene. Das nationalkonservative Lager hat zwar in den vergangenen Jahren mehrere wichtige eidgenössische Volksabstimmungen (UNO-Beitritt, Bilaterale Verträge, Personenfreizügigkeit und Schengen-Abkommen) verloren, kann jedoch das politische Gespräch immer wieder mit diskriminierenden Kampagnen gegen Minderheiten bestimmen.

Im Jahr 2006 richteten sich die Kampagnen der Rassisten und Fremdenfeinde vornehmlich gegen die muslimische Gemeinschaft. Als Anknüpfungspunkt nahmen die Diskriminierungwilligen Minarettbauten, die es zu verhindern gelte. Aber auch Menschen aus den verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens wie ebenfalls jene schwarzer Hautfarbe – mit oder ohne Schweizer Pass – sind sowohl im gesellschaftlichen Leben wie auch in der politischen Auseinandersetzung mit rassistischen Anwürfen konfrontiert worden. Polizeilichen Schikanen und Demütigungen ausgesetzt sind vor allem junge Männer schwarzer Hautfarbe – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Der Antisemitismus ist latent vorhanden, doch dringt er – ausser in den Veröffentlichungen der Rechtsextremisten – selten an die Oberfläche. Die Verfassungsrechte der Fahrenden und Jenischen sind zwar anerkannt, doch haben sie weiterhin oft Mühe, Durchgangs- bzw. Standplätze zu finden.

(1) NZZ am Sonntag, 19. November 2006, Seite 95
(2) Siehe Berichterstattung in der Tagespresse, beispielsweise Tages-Anzeiger, 29. Dezember 2006, Seite 20
(3) Nationalrat Geschäft 04.3325 und 04.3656, Motionen von Josef Zisyadis. Amtliches Bulletin, Sitzung vom 8. März 2006
(4) Antwort des Bundesrats auf Motion Zisyadis, Geschäft 04.3325
(5) Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit EUMC, Muslims in the European Union, Discrimination and Islamophobia. Wien, 2006
(6) Zurzeit gegenüber den Muslimen in der Schweiz, siehe die Stellungsnahme der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR „Mehrheit und muslimische Minderheit in der Schweiz“, September 2006
(7) Siehe Einträge, Zürich, 10. April 2006, Wil SG, 29. August 2006, Bern, Ende August 2006, Tessin, Ende September 2006
(8) Siehe Eintrag, Langenthal BE, 16. Dezember 2006
(9) Siehe Eintrag, Wangen bei Olten SO; Mitte Oktober 2005
(10) Siehe Eintrag, Langenthal BE, 13. Juli 2006
(11) Oltner Tagblatt, 8. September 2006, Seite 22
(12) Eine detaillierte Schilderung der Situation der Schwarzen in der Schweiz bietet Carmel Fröhlicher-Stines/Kelechi Monika Mennel, Schwarze Menschen in der Schweiz. Ein Leben zwischen Integration und Diskriminierung. Studie im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Bern 2004.
(13) Zur Diskussion um den ‚neuen‘ Antisemitismus siehe den Diskussionsband von Doron Rabinovici, Ulrich Speck, Natan Sznaider (Hrsg.), Neuer Antisemitismus?, Eine globale Debatte. Frankfurt am Main, 2004
(14) Eine Ausnahme siehe unter Eiken AG, 26. Mai 2005
(15) Erwin Kessler, Zur Diskussion um das Antirassismusgesetz, http://www.vgt.ch/news2006/061008-ARG.htm(Stand 21. Januar 2007)
(16) SonntagsZeitung, 14. Januar 2007. Die Angaben der Meldestelle lassen sich nicht überprüfen, da diese nur die statistischen Angaben, nicht jedoch die vollständige Liste veröffentlicht.
(17) Vergleiche auch den Kommentar von Gisela Blau, Kennen Sie den?, Tachles 19. Januar 2007
(18) Siehe Eintrag Küssnacht am Rigi SZ, 15. April 2005
(19) Bericht des Bundesrates über die Situation der Fahrenden in der Schweiz vom Oktober 2006, Teil II, Handlungsmöglichkeiten des Bundes zur Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende, Seite 23
(20) Erwähnt in Bericht des Bundesrates über die Situation der Fahrenden in der Schweiz vom Oktober 2006, Teil II, Handlungsmöglichkeiten des Bundes zur Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende, Seite 23
(21) Siehe Einträge La Tour-de-Trême FR, 21. Dezember 2006 und Granges-Paccot FR, 21. Dezember 2006