Einschätzung der Situation 2002

Zürich, 31. Dezember 2002

„Sollte ich sie bedrohen und sie wie Vieh behandeln?“

Am Anfang hing diesmal ein Plakat. Ein Mann, schwarzhaarig und mit Sonnenbrille, zerreisst grimmig ein Schweizerkreuz und tritt ins Bild als ob eben in eine Wohnung eingebrochen sei. Mit dieser diffamierenden Werbekampagne startete die SVP Schweiz im Sommer 1999 die Unterschriftensammlung für ihre Asyl-Initiative, die eine faktische Abschaffung des Asylrechtes vorschlug. Am letzten Sonntag im November 2002 entschieden sich die Stimmenden sehr knapp gegen die SVP-Anti-Asyl-Initiative, doch bereits am folgenden Tag betonten die zuständige Bundesrätin Ruth Metzler (CVP) wie auch SprecherInnen von bürgerlichen Parteien, dass die bereits angelaufene Asylgesetzrevision vorangetrieben werden und diese restriktiv sein müsse.

Wie ist es möglich, dass die MeinungsführerInnen häufig die humanitäre Tradition des Landes loben, doch seit bald hundert Jahren eine „Uberfremdungsdiskussion“ führen? In welchen Traditionszusammenhängen entwickeln sich in der Schweiz Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus? Eine erste vorläufige Antwort: Die Schweizer Gesellschaft lebt mit dem Widerspruch, einerseits im Kern eine fremdenfeindliche Politik zu betreiben, andererseits den grobschlächtigen Initiativen ausländerfeindlicher Parteien (einst Nationale Aktion bzw. Schweizer Demokraten, heute SVP) nicht folgen zu wollen. Bundesrat und bürgerliche Parlamentsmehrheit lösen den Zwiespalt zumeist, indem sie die Initiativen jeweils ablehnen, deren Forderungen jedoch bei Gesetzes- und Verordnungsrevisionen weitgehend übernehmen. (1) Das Asylrecht beispielsweise haben Bundesrat und eine bürgerliche Parlamentsmehrheit in den vergangenen zwanzig Jahren mehrmals restriktiver gestaltet. In den Debatten beriefen sich GegnerInnen und BefürworterInnen noch abschreckender Bestimmungen jeweils auf die angeblich „humanitäre Tradition“ der Schweiz – die einen – teils gegen ihre eigene Überzeugung – um noch restriktivere Bestimmungen abwehren, die anderen um den politischen Schein wahren zu können. Zwar hatte die Schweiz im 19. Jahrhundert eine flüchtlingsfreundliche Politik, die sie zum Ärgernis der restaurativen Kräfte (2) der europäischen Feudalgesellschaften werden liess, doch seit dem Ersten Weltkrieg hat die Schweiz sich zunehmend gegen Flüchtlinge abgeschottet, ausser diese seien GegnerInnen der kommunistischen Volksrepubliken Osteuropas gewesen. Diese Freundlichkeit galt aber nicht jenen Minderheitengruppen, die auch in der Schweiz in der Minderheit waren, weder für Linke noch für Jüdinnen und Juden. Das gilt besonders für die Zeit des Nationalsozialismus: „Die Schweiz, insbesondere ihre politische Führung, versagte, als es darum ging, den verfolgten Juden grosszügig Schutz zu gewähren. Dies wiegt um so schwerer, als die Behörden im Wissen um die möglichen Konsequenzen nicht nur im August 1942 die Grenzschliessung verfügten, sondern über ein Jahr lang an ihrer restriktiven Politik festhielten. Indem sie die Flucht mit zahlreichen Massnahmen zusätzlich erschwerten und aufgegriffene Flüchtlinge direkt ihren Verfolgern übergaben, trugen sie dazu bei, dass die Nationalsozialisten ihre Ziele erreichen konnten.“ (3) Selbstverständlich gab es immer wieder Menschen, denen es Verpflichtung und Ehre war, die flüchtlingsfeindlichen Gesetze und Verordnungen, zu unterlaufen, oder in nervenaufreibenden Auseinandersetzungen mit den zuständigen Behörden für einzelne Flüchtlinge akzeptable Lösungen zu erreichen.

(1) Siehe auch die Einschätzung von Alain Mailard und Christophe Tafelmacher, Les autorités suisses donnent raison à l’UDC, in Le Temps, 27. November 2002. Mailard und Tafelmacher sind die Autoren von „Faux Réfugiés? La politique suisse de dissuasion d’asile 1979-1999, Lausanne 1999.
(2) So erklärte der österreichische Fürst Metternich beispielsweise: „Alles, was Europa enthält an verirrten Geistern, Abenteurern, an Urhebern sozialer Umstürze, hat einen Zufluchtsort gefunden in diesem erbärmlichen Land.“ Zitiert in Marc Spescha. Zukunft ‚Ausländer‘, Plädoyer für eine weitsichtige Migrationspolitik. Bern 2002, S. 22
(3) Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Schlussbericht der Unabhängigen Expertenkommission – Zweiter Weltkrieg. Zürich 2002, S. 172

„Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr“

Wie aber geht die Schweiz mit jenen mehreren Hunderttausend Menschen um, die als MigrantInnen – zumeist ArbeitsmigrantInnen – in die Schweiz einreisen? Gilt immer noch, was Max Frisch anno 1965 formulierte: „Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen. Sie fressen den Wohlstand nicht auf, im Gegenteil, sie sind für den Wohlstand unerlässlich.“? (4) Fakt ist: Ein Geist der Abwehr beziehungsweise der ‚Überfremdungsangst‘ zieht sich durch das Gesetz über den Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (ANAG), das 1931 vom Parlament verabschiedet wurde und das im wesentlichen heute noch gilt, wenn auch einige Bestimmungen präziser gefasst worden sind. Doch dies ändert nicht daran, dass – so das Fazit des Juristen Marc Spescha, eines ausgewiesenen Kenners des ‚Ausländerrechtes‘ – „die schweizerische Ausländerpolitik wesentlich durch bundesrätliches Verordnungsrecht und das Ermessen der kantonalen Fremdenpolizeibehörden geprägt wurde“ (5) Vor allem das grosse Ermessen der kantonalen Fremdenpolizisten führt oft zu willkürlichen Entscheiden, welche fundamentalen Rechten widersprechen. (6)

Das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union (EU) bringt für die EU-Staatsangehörigen eine weitgehende Gleichbehandlung mit Schweizer Bürgern, vom ‚Ausländergesetz‘ betroffen sind in Zukunft ausschliesslich noch Menschen, die weder aus der Schweiz noch aus EU-Ländern stammen und auch keine Beziehungen zu SchweizerInnen oder EU-BürgerInnen haben. Im Kern hat sich die Schweizer Politik aber wenig verändert, wenn auch der Bundesrat ein „modernes Einwanderungsgesetz“ angekündigt hat. Der vom Bundesrat Anfang März 2002 veröffentlichte Entwurf des neuen Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) erntete harte und berechtigte Kritik: Im „Tages-Anzeiger“ schrieb der Redaktor Peter Hug: „Rund 40 Prozent der Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz stammen nicht aus dem EU-/Efta-Raum. Sie müssen ein solches Zwei-Klassen-Recht als Ohrfeige empfinden. Wer einen grossen Teil der ausländischen Bevölkerung derart benachteiligt, darf sich nicht wundern, wenn es nachher mir ihrer Integration hapert. Diskriminierende Bestimmungen passen nicht in eine Gesetz, von dem Bundesrätin Metzler behauptet, es wolle die Ausländer nicht bloss als Arbeitskräfte, sondern als Menschen behandeln.“ (7) Und Marc Spescha kommentiert: „Im Zentrum des Gesetzesentwurf steht nicht der Ausländer als Mensch mit seinen berechtigten Wünschen, sozialen Bedürfnissen und einer Vielzahl von Fähigkeiten. Das besondere Augenmerk der Autoren des Gesetzes gilt vielmehr der Erschwerung der Einreise, der Erstellung umfangreicher Pflichtenkataloge, der Errichtung von Zulassungsschranken, der Formulierung von Auflagen für die Erteiligung von Bewilligungen, der Bekämfung von Missbräuchen und der Verschärfung von Kontrollen und Sanktionen mit dem Ziel, unerwünschte Personen möglichst leicht wieder loszuwerden.“ (8) Der bundesrätliche AuG-Entwurf nährt die Befürchtung, dass die Schweiz sich zwar zur Europäischen Union geöffnet, aber – gleichzeitig und vor allem – sich der „Festung Europa“ angeschlossen habe.

Im Schatten dieser staatlichen Rahmenbedingungen laufen die gesellschaftlichen Prozesse. Noch immer bleibt die ethnische Zugehörigkeit ein verbreitetes Erklärungsmuster für soziale Probleme, sei es in der Bildung, sei es in der Jugendarbeit oder andernorts. Ein Beispiel: Die Ausgrenzung von Jugendlichen, die das Bürgerrecht eines Balkan-Landes besitzen, geschieht häufig mit dem Verweis auf die „Herkunftskultur“. Die Sozialarbeiterin Gülcan Akkaya, Projektleiterin beim Team für interkulturelle Konflikte und Gewalt (TikK), kommt nach der Schilderung eines länger dauernden Konfliktes zwischen Jugendlichen albanischer und Jugendlichen schweizerischer Herkunft in einem Jugendhaus zum Schluss: „Obwohl sie massgeblich von der sie umgebenden schweizerischen Kultur geprägt, ja zum Teil sogar in diese hineingeboren wurden, sehen viele ‚Einheimische‘ in ihnen nur das Fremde.“ Nicht in Betracht gezogen werde hingegen, dass „die vermeintlich kulturelle Differenz zumindest teilweise Folge der strukturellen Benachteiligung auf Grund nationaler und internationaler Verteilungs-Ungleichheiten sein könnte“. (9)

(4) Max Frisch, Überfremdung 1, in: Max Frisch, Öffentlichkeit als Partner, Frankfurt 1967, S. 100.
(5) Marc Spescha, Zukunft ‚Ausländer‘, S. 120.
(6) Eine Reihe solcher Entscheide dokumentiert Marc Spescha, Zukunft ‚Ausländer‘, S. 55-86
(7) Peter Hug im Tages-Anzeiger, 9. März 2002, zitiert in: Marc Spescha, Zukunft ‚Ausländer‘, S. 132
(8) Marc Spescha, Zukunft ‚Ausländer‘, S. 132
(9) Gülcan Akkaya, Was ‚Kultur‘ nicht erklärt …. Albanische Jugendliche im Fokus eines interkulturellen Konflikts in: terra cognita, Nummer 1/2002, S. 66 – 71.

ürgerungen

Die Schweiz ist auf dem Weg eine Gesellschaft zu werden, in der einer ansehnlichen Minderheit, die politische Gleichberechtigung vorenthalten wird. Der Hintergrund: Seit Jahrzehnten pflegt die Schweiz eine restriktive Einbürgerungspolitik (10), cht nur dass sie die strengsten Kriterien (Aufenthaltsdauer mindestens 12 Jahre) für die Erlangung der Staatsbürgerschaft besitzt und unterschiedliche kantonalen Bestimmungen hat (11), in der Anwendung – ausser beim Spezialfall der erleichterten Einbürgerung – verfügen die Einbürgerungswilligen in den meisten Kantonen über keinen Rechtsanspruch. Sie sind der Willkür der Behörden (häufig werden AntragsstellerInnen aufgefordert, ihre Gesuch zurückzuziehen) (12) und der demokratisch legitimierter Willkür von Gemeindeversammlungen bzw. Volksabstimmungen ausgeliefert. Die Zahl der Einbürgerungen hat zwar seit 1990 zugenommen, doch der Anteil der einbürgerten Menschen ist im Verhältnis zur Zahl der Einbürgerungsberechtigten immer noch sehr gering. Im Jahr 2001 erhielten rund 27’600 Personen das Schweizer Bürgerrecht, dies bei einer ständigen ausländischen Wohnbevölkerung von 1‘459‘100 Personen. (13)

Diese rund 1, 4 Millionen Menschen, die keinen Schweizer Pass besitzen, leben in der Schweiz, teils seit Jahrzehnten, teils sind diese Menschen hier geboren, teils haben sie den grössten Teil ihrer Schul- und Ausbildungszeit hier absolviert. Sie sind Teil der Schweizer Gesellschaft, sie zahlen Steuern, zahlen in die Sozialversicherungen ein. Sie sind Einheimische ohne Schweizer Pass (14) und ohne politischen Rechte, und sie müssen unter Umständen befürchten, des Landes verwiesen zu werden. In den vergangenen Jahren sind jährlich nur rund 30‘000 Menschen eingebürgert worden. Und seit Mitte der 90er-Jahre steigt die Zahl der Einbürgerungsverweigerungen. Insbesondere Einbürgerungswillige aus der Türkei und den verschiedenen Staaten des ehemaligen Jugoslawien müssen erleben, dass ihnen die Teilhabe am politischen Leben verweigert wird und ihnen damit weitere gesellschaftliche Sicherheiten vorenthalten werden. Die gleichen politischen Kräfte, welche den Einheimischen ohne Schweizer Pass mangelnde Integration vorwerfen, versuchen integrationsfördernde Gesetze und Projekte zu verhindern wie auch Einbürgerungen zu erschweren. (15)

(10) Georg Kreis/Patrick Kury, Die schweizerischen Einbürgerungsnormen im Wandel der Zeiten, Bern 1996. Über die unterschiedlichen kantonalen Regelungen siehe die Broschüre «Die Einbürgerung der Ausländer in der Schweiz», herausgegeben vom Schweizerischen Gemeindeverband, Schönbühl BE. Eine (teils anekdotische) historische Darstellung der Einbürgerungspraxis in der Stadt Zürich bietet Christian Dütschler, Das Kreuz mit dem Pass. Die Protokolle der ‚Schweizermacher‘, Zürich 1998
(11) Über den aktuellen Stand der Verfahrensvielfalt siehe: Barbara Boner, Die kantonalen Verfahren zu ordentlichen Einbürgerung von Ausländern, Stand. Dezember 1999, verfasst im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Ebenso Pascale Steiner, Hans-Rudolf Wicker, Einbürgerungen auf der Ebene der Gemeinden. Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, Bern 2000.
(12) Detaillierte Hinweise zu dieser Praxis finden sich in zwei Lizentiatsarbeiten, die an der Universität Bern vorgelegt wurden und sich mit der Einbürgerungspraxis der Luzerner Agglomerationsgemeinde Littau beschäftigen: Monika Hächler, Einbürgerung und Identität und Karin Zürcher, Einbürgerung und Identität – ein (Schein)zusammenhang?. Monika Hächler beispielsweise berichtet, dass es von der Gesuchseinreichung bis zum endgülten Entscheid zwischen sechs und 74 Monate dauern könne. Die Geringschätzung der Rechtsstellung von Einbürgerungswilligen wird an einem anderen Detail deutlich: „Gegenwärtig liegen auf der Gemeinde mehr als 300 Einbürgerungsdossiers, welche bearbeitet werden sollten, was bis anhin jedoch nicht dazu geführt hat, dass mehr als 45 Gesuche jährlich abgeklärt werden.“ (Hächler, S. 57).
(13) Pressemitteilung des Bundesamt für Statistik, Nr. 0350-0202-20, vom 20. Februar 2002.
(14) „Der Begriff ‚Ausländer‘ ist von der Wirklichkeit offensichtlich überholt worden. Er eignet sich nur noch um Distanz zu schaffen, Menschen auszugrenzen, den Eindruck zu vermitteln, er, der ‚Ausländer‘, sei eine Person minderer Wertigkeit mehr geduldet als geschätzt, ein ‚Problem‘ also. (…) Eine differenzierte Begrifflichkeit unterschiede allenfalls zwischen neu Immigrierten einerseits und Einheimischen mit und ohne Schweizer Pass andererseits.“ Marc Spescha, Zukunft ‚Ausländer‘, S. 10
(15) Beispielsweise bekämpfte die SVP Stadt Zürich ein „Kontaktnetz für Kosovo-Albaner“ mit einem diskriminierenden Plakat. Siehe Eintrag: Zürich, Mai 1998. In einem anderen Zusammenhang erklärt der Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber: „Ich habe viel mehr Probleme mit Schweizern, die die Stadt in Verruf bringen, indem sie sie als Hauptstadt des Verbrechens bezeichnen und hier Pogrom-Stimmung gegen Ausländer schüren, um ihr politisches Süppchen zu kochen.“ Zitiert in: Tages-Anzeiger, 19. 2002, S. 16.

Rassismus und Antisemitismus

Fakt ist: Wer eine nichtweisse Hautfarbe trägt oder sich nicht an einen festen Wohnort festbinden will oder einer nichtchristlicher Religionsgemeinschaft angehört oder nichthetereosexuelle Liebesverhältnisse bevorzugt, läuft in der Schweiz eine erhöhte Gefahr in der Öffentlichkeit bedroht, beschimpft, angepöbelt oder körperlich angegriffen zu werden. Der Mechanismus des Hasses und der Ausgrenzung bleibt, die Feindbilder passen sich den konjunkturellen Bedürfnissen an. Seit Beginn der 90er-Jahre richtet sich die Ausgrenzung vornehmlich gegen Menschen aus den Ländern des einstigen Jugoslawien, sowie aus der Türkei, wie auch Menschen mit schwarzer Hautfarbe (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit) erleiden im täglichen Leben Anfeindungen und Diskriminierungen. Sie werden beispielsweise – dies belegen verschiedene Beobachtungen – häufig nicht zugelassen in nächtlich geöffneten Vergnügungslokalen (16), gelegentlich auch in Restaurants. (17) Die Rassismus-Strafnorm mit ihrem expliziten Diskriminierungsverbot bei öffentlich angebotenen Dienstleistungen konnte diese Diskriminierungen nicht unterbinden, da die Abweisungen unter irgendwelchen Vorwand geschehen. (18) Im Sommer 2002, im Vorfeld des Abstimmungskampfes um die SVP-Asylinitiative hat sich der Ausgrenzungsdiskurs vor allem an jenen junge Männer aus verschiedenen Ländern Schwarzafrikas festgemacht, die in einigen Schweizer Städten als Kokain-Kleindealer auftreten. Fakt ist: In einer weissen Mehrheitsgesellschaft fallen Menschen schwarzer Hautfarbe besonders auf, unabhängig der Herkunft (beispielsweise Elfenbeinküste oder USA) und der rechtlichen Situation (ob beispielsweise Asylbewerber oder Schweizerbürger) (19) Seit Frühling/Sommer 2002 richtet sich der Ausgrenzungsdiskurs zunehmend gegen Menschen schwarzer Hautfarbe, insbesondere gegen junge Männer. Auslöser für diese Kampagne, war einerseits die Volksabstimmung über die Anti-Asyl-Volksinitiative der SVP (24. November 2002) , andererseits die Beobachtung, dass die – zumeist mit einem Arbeitsverbot belegten – jungen Männer, Kokain-Detailhandel betrieben, dies zumeist in der Nähe von Bahnhöfen.

(16) Siehe zum Beispiel Eintrag Winterthur, 24. August 1999
(17) Siehe zum Beispiel Einträge Reichenburg SZ, Anfang Januar 1999, Region March SZ, 6. August 1998
(18) Bis anhin sind nur wenige Verurteilungen wegen Widerhandlung gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 261bis StGB Abs. 5) bekannt geworden. Siehe beispielsweise Eintrag, Reichenburg SZ, Anfang Januar 1999
(19) Siehe beispielsweise den Eintrag, Basel, 18. Juli 2002. Eine differenzierte Darstellung des Alltages bieten zwölf Porträts von Menschen, die zweierlei gemeinsam haben, ihre Hautfarbe ist schwarz und ihr Wohnort Basel. Siehe: Eleonora Matare, Jürg Schneider, Bettina Zeugin, Black, Noir, Schwarz. Zwölf Porträts aus Basel, Basel 2002

Antisemitismus

Während der Debatte um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nahm die Bereitschaft wieder zu, sich öffentlich antisemitisch zu äussern. Nach der Ankündigung einer Globallösung im Sommer 1998 begannen die antisemitischen Äusserungen und Anspielungen in der Öffentlichkeit abzunehmen, ohne aber ganz zu verschwinden. In der Folge wurden die Kritik an Israels Politik gegenüber den Palastinänsern vielfach mit antisemitischen Stereotypen angereichert.

Ende September 2001 schlug der Bundesrat vor, das in der Schweiz geltende Schächtverbot aufzuheben. Die Reaktionen war sehr heftig. Der Verein gegen Tierfabriken (VgT), aber auch der Schweizer Tierschutz, lancierten Volksinitiativen. Nach der heftigen Agitation zog der Bundesrat Anfang Februar 2002 die Vorlage zurück. Mitte Juni gab Erwin Kessler bekannt, dass er seine Volksinitiative gegen das Schächten angesichts des bis anhin schlechten Sammelergebnis aufgebe, ja sich gar „resigniert“ aus der Tierschutzarbeit zurückziehen wolle. Doch wenige Wochen später verkündete Christian Riesen, einst JSVP Bern und Propagandist für eine Todesstrafe-Volksinitiative, er wolle Kesslers Initiative retten. (20) In der Zwischenzeit hat Kesslers Initiative Unterstützung von der Freiheits-Partei Schweiz (FPS) erhalten, an einer Delegiertenversammlung stimmten die Anwesenden – mit einer einzigen Gegenstimme – der Unterstützung zu. Im Spätherbst 2002 ist allerdings noch unklar, ob Kesslers Initiative rechtzeitig (bis Ende September 2003) genügend Unterschriften zusammenbringt.

Kessler gefällt sich weiterhin mit aus dem Zusammenhang gerissenen Talmud-Sätzen antisemitische Stimmung zu schüren. Sein Bestreben ist, den Talmud und die jüdische Religion als unsittlich und die Juden als böse Menschen zu charakterisieren. Kessler führt auch einen prozessträchtigen Kampf gegen jene KritikerInnen, die ihm Kontakte zu rechtsextremistischen Exponenten vorwerfen. Besonders eifrig bekämpft er die Dissertation von Pascal Krauthammer (21), der zum Ergebnis kommt, dass sich bei Kessler „die Schächtfrage mit der rassistisch gestellten Fremdenfrage“ (22) vermische. Krauthammer weiter: „In Anbetracht seines institutionalisierten Antisemitismus und Rassismus erstaunt es kaum, dass Erwin Kessler intensive Kontakte zur rechtsextremen und revisionistischen Szene pflegte.“ (23) Seit Jahren verbreite Kessler aber auch – so Krauthammer – mit verschiedenen Talmudstellen „ein Zerrbild des Talmud“, wonach dieser alle Juden verpflichte, Christen zu schädigen oder zu vernichten. (24) Aufschlussreich, da den Vorwurf des Antisemitismus bestätigend, ist Kesslers Reaktion: Auf der VgT-Homepage bezeichnet er die Dissertation als „jüdische Hetze gegen Tierschützer“ und schreibt unter anderem: „Wo sind die liberalen, aufgeschlossenen Juden mit einem Verantwortungsgefühl gegenüber nichtjüdischen Lebewesen?“. (25) Mitte Oktober 2002 erreicht Kessler beim Bezirksgericht Münchwilen ein vorsorgliches Verkaufsverbot der Dissertation. Wenige Wochen später urteilt jedoch das Bundesgericht – in einem Prozess, den Kessler gegen die Berner Tageszeitung „Der Bund“ angestrengt hatte -, dass die Feststellung Kessler habe „Kontakte zur rechtsexremen und revisionistischen Szene“ gehabt, keine Persönlichkeitsverletzung sei. (26)

(20) Tachles, 31. Mai 2002
(21) Pascal Krauthammer, Das Schächtverbot in der Schweiz 1854-2000. Die Schächtfrage zwischen Tierschutz, Politik und Fremdenfeindlichkeit. Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte, Zürich 2000.
(22) Krauthammer, Die Schächtfrage, S. 246-262
(23) Krauthammer, Die Schächtfrage, S. 261
(24) Krauthammer, Die Schächtfrage, S. 262
(25) VgT-Homepage, www.vgt.ch, Eintrag vom 21. 12. 2000
(26) Siehe Eintrag, Tuttwil TG, 19. Dezember 2001. Die Urteilsbegründung des Bundesgerichtes ist bei Redaktionsschluss noch ausstehend.

Jenische

Trotz vielen schönen Beteuerungen von Beamten und Politikern haben Jenische, insbesondere Romas ohne Schweizer Pass, immer noch Mühe Durchgangsplätze zu finden. Entweder wird ihnen von der Polizei das Anhalten verunmöglicht oder sie werden später vertrieben. Gelegentlich wird Jenischen auch der Zutritt zu öffentlichen angebotenen Dienstleistungen verweigert. (27) Auch werden Fahrende gelegentlich Opfer von Attacken oder Anschlägen. (28)

(27) Siehe Eintrag Genf, 26. Juni 2002 oder auch Bern, 10. September 2001
(28) Siehe Eintrag Grenchen SO, 31. März 2002 oder auch Mendrisio TI, 26. Januar 2001

Muslimfeindschaft

Das Attentat auf die beiden Türme des New Yorker World Trade Center verstärkt auch in der Schweiz die bestehende, wenn auch schwache muslimfeindliche Stimmung. Fremdenfeindliche Parteien, einigen Gruppierungen und Einzelpersonen haben zwar seit Jahren gelegentliche diskreditierende Schriften oder Vorstösse veröffentlicht, sei es in Zusammenhang mit Einbürgerungen (29), sei es aus fundamentalistisch christlicher Motivation. (30)

(29) Siehe zum Beispiel Eintrag Emmen LU, 13. Juni 1999
(30) Siehe zum Beispiel Eintrag Goldach SG, 29. April 2001

Rassismus bei Polizei und Behörden

Noch immer erleiden AusländerInnen, insbesondere Menschen mit schwarzer Hautfarbe, Schikanen durch Behörden, insbesondere durch die Polizei. Der Zürcher Anwalt Marcel Bosonnet schildert in der Zeitschrift „Widerspruch“ beispielsweise, wie ein junger Mann mit schwarzer Hautfarbe innerhalb von wenigen hundert Metern gleich zweimal von Stadtzürcher Polizisten kontrolliert wird. „Auf die Frage nach dem Grund der erneuten Kontrolle erklärte ein Polizeibeamter, sie seien zu diesen Kontrollen jederzeit berechtigt, ja gezwungen, das seine Landsleute Drogen verkaufen würden. Der Kontrollierte, bei dem es sich um einen Schweizer Studenten handelte, fragte zurück, ob denn ihrer Ansicht nach alle Afrikaner Drogen verkaufen würden und ob die schwarze Hautfarbe zwangsläufig einen Bezug zum Drogenhandel herstelle. Bekanntlich seien letzthin Schweizer Polizeibeamte in Südamerika wegen eines Drogentransportes verhaftet worden. Als er dies in Erinnerung rief, kamen die Polizeibeamten nochmals auf ihn zu und verlangten erneut seinen Ausweis. Der Kontrollierte erkundigte sich wiederum nach dem Grund. Ein Beamter liess ihn wissen, sie hätten vergessen, etwas zu notieren. Die Polizeibeamten schlugen ihn daraufhin zu Boden und legten ihm Handschellen an. Mit rassistischen Sprüchen beleidigten und verletzten sie ihn. Sie führten ihn zur Polizeiwache Urania, wo sie ihn in eine Zelle sperrten und ihm befahlen, alle Kleider auszuziehen. Danach wurde er entlassen.“ (31)

Aber auch Asylsuchende erfreuten sich erhöhter polizeilicher Aufmerksamkeit. Unterschiedlich auch die Schilderung einer Razzia in einer Asylbewerber-Unterkunft im Kanton Tessin. Sie habe eine „normale präventive Kontrolle“ durchgeführt, erklärt die Kantonspolizei. Die betroffenen Asylbewerber erzählen eine andere Version: „Ihr Zimmer sei von der Polizeibeamten auf den Kopf gestellt worden. Matrazen und Kleider seien zerschlissen und Seiten eines Korans herausgerissen worden. Als einer der vier Zimmerbewohner das Vorgehen in Frage gestellt habe, sei er von vier Beamten verprügelt worden.“ (32)

Diskriminierender und entwürdigender Vorgehen machen sich Gemeindebehörden gelegentlich schuldig. Die IGA Solothurn – SOS Racismus beispielsweise fasst in ihrem Jahresbericht 2001-2002 ihre Erfahrungen foldendermassen zusammen: „Die meisten Bitten um Intervention, die von Asylsuchenden und vorläufig aufgenommenen Personen kamen, bezogen sich auf diskriminierende Haltung oder Verhalten von Behördenvertretern. In allen diesen Fällen handelte es sich um Verletzungen elementarer Menschenrechte: Nachfolgend einige ‚Standardfälle‘: Erheblich zu niedrige Sozialhilfetarife, willkürliche Kürzung oder gar Entzug der Sozialhilfe (oft ohne schriftliche beschwerdefähige Begründung), menschenunwürdige Wohnverhältnisse, unhaltbare Arbeitsbedingungen, Kontrolle und Verletzung der Privatspähre, erschwerter Zugang zu medizinischer Pflege, zur Ausbildung, Fahrverbot, Ausgrenzungsverfahren, Übergriffe seitens der Polizei (vor allem gegenüber Schwarzen und Arabern), Beleidigungen aller Art seitens der Behörden (…)“. (33)

Unter den verschiedenen Anmerkungen, die der UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, anlässslich der Diskussion des zweiten und dritten Länderberichtes der Schweiz im März 2002 vortrug, war denn auch die Besorgnis über die Vorwürfe von Polizeiübergriffen und übertriebener Gewaltanwendung währen der Haft und den Ausschaffungen. Der Ausschuss beanstandet, dass viele Kantone keine unabhängigen Verfahren vorsehen für die Untersuchung bei Beschwerden wegen Polizeigewalt oder –übergriffen und dass Sanktionen gegen verantwortliche Beamte selten seien. (34)

(31) Marcel Bosonnet, Polizeigewalt und öffentliche Sicherheit, in Widerspruch, Nummer 42, S. 77-81.
(32) Im Tessin gibt’s Schläge statt Arbeit, Neue Luzerner Zeitung, 9. Februar 2002
(33) Interessengemeinschaft für Asylsuchende, IGA Solothurn – SOS Racisme, Jahresbericht 2001-2002, S. 3
(34) Committee on the Elimination of Racial Discrimination. Consideration of Reports submitted by States Parties unter Article 9 of the Convention, 21 march 2002

Das nationalkonservative Lager

In den vergangenen Jahren hat das nationalkonservative Lager, bestehend aus den Parteien SVP, FPS, SD, KVP und EDU, sowie einer Vielzahl von Gruppen (darunter als zahlen- und zahlungsstärkste die AUNS) und wenigen Zeitschriften (unter anderem Schweizerzeit, Zeit-Fragen) in den wichtigsten eidgenössischen Volksabstimmungen Niederlagen erlitten. (35) Die Schweiz ist der UNO beigetreten, die Bilateralen Verträge mit der EU sind in Kraft getreten. Den Niederlagen in eidgenössischen Volksabstimmungen stehen Erfolge in den kantonalen Parlamentswahlen gegenüber.

(35) Eine umfangreiche Darstellung dieses ganzen Lagers wie auch der rechtsextremistischen Szene bieten Peter Niggli, Jürg Frischknecht, Rechte Seilschaften, Zürich 1998

SVP

Die fremdenfeindliche Regierungspartei hat in den vergangenen Jahren bei kantonalen Wahlen weitere Wahlerfolge erzielen können, vor allem in Kantonen in denen die SVP erst seit wenigen Jahren über Parteistrukturen verfügt. Die Partei verfolgt einerseits einen aggressiv kapitalfreundlichen Kurs, insbesondere fordert sie eine massive Reduktion der Staatsquote und Steuererleichterungen für die Besserverdienenden, was zwangsläufig mit einem Abbau von sozialen Diensten und Sicherheiten verbunden wäre. Viel mehr Aufmerksamkeit erntet die Partei doch mit ihren Kampagnen gegen gesellschaftlich Schwache, insbesondere AsylbewerberInnen und AusländerInnen.

FPS

Die Freiheits-Partei Schweiz (FPS), vormals Autopartei, hat bei den eidgenössischen Wahlen 1999 ihre letzten Nationalratssitze verloren. Ein Teil ihrer Volksvertreter hat ihren Sitz noch rechtzeitig durch Übertritt in die SVP gerettet. (36) In ihren „politischen Schwerpunkten“ redet die Partei dem rassistischen Stammtisch nach dem Mund, beispielsweise: „Wenn die illegale Einwanderung von Ausländern einer gewissen Herkunft nicht unverzüglich gestoppt wird, lässt ein Bürgerkrieg nicht mehr lange auf sich warten!“ Oder auch: „Die sogenannten ‚Sans Papiers‘ (Papierlose), Ausländer oder abgewiesene Asylbewerber, welche sich illegal in der Schweiz aufhalten, nehmen mit Schwarzarbeit den Schweizern die Arbeit weg!“ Aber auch die verbale Radikalisierung wird den Niedergang der Partei kaum aufhalten, zu stark ist die politische Sogwirkung der SVP im nationalkonservativen Lager.

Der Parteipräsident und Bieler Stadtrat Jürg Scherrer wurde in den vergangenen Jahren mehrere Male wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm angezeigt. Soweit die Verfahren bereits zu Urteilen führten, ist Scherrer jeweils freigeprochen worden. Die Verfahren sind jedoch die Folgekosten eines Politstiles, der durch grobschlächtige Verdächtigungen, Diffamierungen und Beleidigungen von Ausländern, Sozialschwachen und politischen GegnerInnen Aufmerksamkeit erreichen will. Als einzige Partei unterstützt die FPS die Anti-Schächt-Initiative des Antisemiten Erwin Kessler, einige Parteimitglieder – wie der Aargauer Jungpolitiker Pascal Trost – sammelten aktiv Unterschriften.

(36) Beispielsweise der Aargauer Transportunternehmer Ulrich Giezendanner, wie auch der ehemalige FPS-Präsident Borer.

Schweizer Demokraten

Wie die Freiheits-Partei Schweiz sind die Schweizer Demokraten (vormals Nationale Aktion) durch die SVP-Erfolge an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrängt worden. Nur noch einen Nationalratssitz konnte die Partei im Oktober 1999 retten.

KVP und EDU

Die Katholische Volkspartei Schweiz (KVP), präsidiert vom Lukas Brühwiler, Amriswil, ist geblieben, was sie immer war: eine marginale politische Kraft. Die Kleinstpartei beruft sich auf einen extrem rückwärtsgewandten Katholizismus und bekämpft immer noch die Hauptforderungen der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das protestantische Gegenpol zur Katholischen Volkspartei, die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) bleibt weiterhin

Rechtsextremismus

Im grossen Schatten der nationalkonservativen Strömung agiert die rechtsxtremistische Szene. Die Gründe für das Ansteigen der Zahl der Rechtsextremisten in den vergangenen Jahren sind vielfältig, trotzdem lassen sich mehrere Motivationsstränge ausmachen. In den vergangenen Jahren ist – vor allem in der deutschsprachigen Schweiz – die Staatsangehörigkeit zu einem verbreiteten Erklärungsmuster für gesellschaftliche, soziale, pädagogische und viele weitere Probleme geworden. Seit bald fünfzehn Jahren propagiert eine Regierungspartei solche Deutungsmuster auch mit diffamierenden Kampagnen, bis Mitte der 90er-Jahre vielfach unterstützt von Ringiers Boulevardblatt „Blick“. (37) Die Fremdenfeinde agieren in einem Traditionsstrom der Schweizer Politik, die seit bald hundert Jahren AusländerInnen als Bedrohung darstellt, einmal die „Überfremdung“ (38), gelegentlich auch die „Verjudung“ beklagt. (39) Insgesamt sind auch die sozialen Gegensätze grösser geworden, die langjährige Rezession, sowie Deregulierung und Staats- und Sozialabbau brachten Teilen der Gesellschaft einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abstieg. Gemäss UNO-Statistik, so Ueli Mäder und Elisa Streuli in ihrem Buch „Reichtum in der Schweiz“, gehöre die Schweiz „punkto Einkommensgefälle zur Spitzengruppe unter den westlichen Industrieländern“. (40) Auch die Vermögensunterschiede sind gross, 120’000 Millionärshaushalte oder drei Prozent der Privathaushalte besitzen die Hälfte des gesamten Privatvermögens, 12’000 Haushalte oder 3 Promille mit fünf Millionen Franken Vermögen oder mehr, ein Viertel der gesamten Privatvermögens. (41) Von kurzzeitigen Konjunkturerholungen profitieren nicht allen Wirtschaftssektoren, in einzelnen Sektoren (zum Beispiel Landwirtschaft) geht der strukturelle Abbau – wenn auch allenfalls verlangsamt – weiter.

Die rechtsextremistische Strömung – insgesamt von marginaler gesellschaftlicher Bedeutung – besteht aus vier Tendenzen, dazu kommen zwei weitere jugendlichen Subkulturen, in denen nationalsozialitisches Gedankengut verbreitet werden. Die vier Tendenzen: die Nazi-Skinheads, die Holocaust-Leugner, die politischen Gruppierungen und politisch-kulturelle Organisationen und Einzelaktivitäten. In zwei jugendlichen Subkulturen haben sich in den vergangenen Jahren nationalsozialistische Tendenzen gebildet, einerseits in der Gothic/Dark Wave-Szene (Grufties) und in der Death-Metal-Szene. Veranstaltungen dieser beiden Subkulturen werden aber selten öffentlich wahrgenommen.

(37) Noch immer lesenswert: Jürg Frischknecht, Wer ist der Schlimmste im ganzen Land? Der Tamil, der Türk, der Asylant. ‚Blick‘ – der NA bestes Sprachrohr, in: Elvira Y. Müller u.a. (Hrsg.), Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Die Schweiz und ihre Flüchtlinge, Zürich 1986, S. 154-168. Blick versucht in den vergangenen Jahren einen „aufgeklärten Boulevard“ zu fahren, ist aber nicht vor vereinzelten Rückfällen gefeit. Siehe Hans Stutz, „Die neue Plage“, in Klartext. Das Schweizer Medienmagazin. 5/2002, S. 34
(38) Zum Traditionszusammenhang des Gesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt von Ausländern (ANAG) siehe Marc Specha, Zukunft „Ausländer“. Plädoyer für eine weitsichtige Migrationspolitik. Bern 2002.
(39) Die 18-Prozent-Initiative, welche der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung auf 18 Prozent limitieren wollte, nahm diese Tradition auf. Sie wurde im September 2000 in der Volksabstimmung deutlich abgelehnt.
(40) Ueli Mäder, Elisa Streuli, Reichtum in der Schweiz. Porträts, Fakten, Hintergründe. Zürich 2002, S. 11 (41) a.a.O., S. 49. Die rassistisch inspirierten Ausrufe gegen AusländerInnen (unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus) stützen sich häufig auf die berechtigte Klage über die eigene bedrängte wirtschaftliche und/oder soziale Lage. Die Klagen erscheinen so als Opposition von Feigen, die nicht gegen Autoritätspersonen aus der Wirtschaft oder den Mehrheitsparteien zu revoltieren getrauen.

Nazi-Skinheads

Sie tragen meist Bomberjacken, Springerstiefel, immer einen kahlgeschorenen Schädel, sie sind Skinheads und haben eine rechtsextremistische Gesinnung, wenn es in der Schweiz auch vereinzelte Oi-Skins oder Redskins gibt. (42) Die Zahl der rechtsextremistischen Skinheads, der Nazi-Skins also, ist auch im Jahr 2002 verhältnismässig hoch geblieben. Die Naziskin-Szene rekrutiert ihre Mitglieder vor allem in ländlichen Gebieten und Kleinstädten. Die „Glatzen“ verkehren meist in cliquenähnlichen Gruppen, die oft keinen Namen tragen und häufig bald wieder auseinanderbrechen. In einigen Regionen konnten sich allerdings jahrelang Gruppen wie Morgenstern (Sempach LU und Umgebung) oder „Nationale Offensive“ (Nördlicher Agglomerationsgürtel der Stadt Bern) halten. Waren es in der vorangegangenen Jahren zwei international tätige Naziskin-Netzwerke (Hammerskins und Blood and Honour), die auch in der Schweiz Aktivitäten entfalteten, scheinen in der letzten Zeit nur noch die Hammerskins aktiv zu sein. Insbesondere gehören Hammerskins zu den Organisatoren, bzw. Mitorganisatoren von mehreren grossen Skinhead-Konzerten, die in den Jahren 2001 und 2002 in der Schweiz stattfanden. Die Schweiz gilt als „Konzertparadies“ (43) Am meisten öffentliche Aufmerksamkeit erreichte das „Hammerfest 2002“, das Anfang August 2002 in Affoltern am Albis stattfand und von über tausend rechtsextremistischen Skins aus verschiedenen europäischen Ländern besucht wurde.

Wie in anderen Jugend-Subkulturen hat die Musk eine verhältnismässig wichtige Bedeutung bei der Verbreitung bzw. Verstärkung der Ideologie. Einschlägige Tonträger wie auch Literatur beziehen Skins vielfach von ausländischen (insbesondere deutschen) Vertrieben, schon mehrfach haben auch Schweizer Aktivisten den Aufbau eines Vertriebes versucht, doch bis anhin konnte sich noch keiner längere Zeit halten. Anders sieht es bei den Musikgruppen aus, mindestens drei Schweizer Skinhead-Bands veröffentlichten im vergangenen Jahr Tonträger oder sie traten an Konzerten auf. Ein Plattenlabel produzierte im Jahr 2001 mehrere CD’s. Auch betreiben mehrere Skinheads Internet-Auftritte, die jedoch teilweise dilettantisch gestaltet sind und selten aktulasiert werden.

Der Wissensstand über die rechtsextremistischen Naziskins in der Schweiz ist verhältnismässig gering, in den Medien erscheinen Berichte vor allem nach aufsehenerregenden Ereignissen (Aufmärsche (44) oder Gewalttaten wie der Mord an Marcel von Allmen (45)). Wissenschaftliche Untersuchungen fehlen, ein vom Bundesrat beschlossenes Nationalfonds-Projekt wird – wenn überhaupt – erst in einigen Jahren verlässliche Erkenntnisse liefern. Einige erste Anhaltspunkte brachten die Ergebnisse der Rekrutenprüfung 1997 (46), beispielsweise dass „rechte und rechtsextreme Gruppen sehr wohl verstärkt Gewalthandlungen“ aufweisen, dies gelte allerdings nicht nur für die Angehörigen jugendlicher Subkulturen (Hooligans, Faschos, Skinheads), sondern auch in „der politischen Mitte“ gebe es eine Tendenz, „die sich durch erhöhte Gewalthandlungen“ auszeichne. „Es handelt sich um eine zur Diskriminierung bereite, Gewalt legitimierende Gruppe mit ansonsten wenig Affinität zu rechten Einstellungen.“ (47) Auch zwei Autoren, deren belletristische Produkte (48) unlängst erschienen sind und die sich mit der Skinhead-Bewegung auseinanderzusetzen versuchen, flüchten sich in die wohlfeile Verschwörungsphantasie, wonach die saufgierigen und gewaltbereiten Skinheads im Hintergrund von reichen und einflussreichen Figuren gesteuert seien. Dass die beiden Autoren die fiktiven Drahtzieher realen politischen Figuren nachzeichnen macht den Erkenntnisgewinn auch nicht grösser. Im Gegenteil.

Neben den Naziskin-Organisationen und Cliquen haben sich in verschiedenen ländlichen Gebieten auch (noch wenig gefestigte) Strukturen herangebildet, deren Aktivisten einen grobschlächtigen Nationalismus vertreten. Ein erster Versuch diese ‚Szene‘ schweizweit zu vernetzen, ist Anfang Oktober 2002 kläglich gescheitert, die wenigen Angereisten mussten von der Polizei vor aufgebrachten GegendemonstrantInnen geschützt werden.

(42) Eine ausführliche Darstellung der Jugend-Subkultur der Skinheads – seit ihren Anfängen Ende der 60er-Jahren – bietet Christian Menhorn. Skinheads: Porträt einer Subkultur. Baden-Baden 2001. Siehe auch Klaus Farin (Hrsg,). Die Skins. Mythos und Realität, Berlin 1997, ebenso Klaus Farin. Skinhead. A Way of Life. Hamburg 1996. Allerdings tendiert Farin zu einer Überbewertung der Bedeutung nicht-rechtsextremistischer Skinheads.
(43) Siehe WochenZeitung, 26. September 2002.
(44) Siehe Eintrag 1. August 2000
(45) Siehe Eintrag 27. Januar 2001
(46) Verschiedene AutorInnen: Rechtsextremistische Tendenzen unter jungen Erwachsenen, Werkstattberichte, Bern 2001
(47) a.a.O., S. 73
(48) Wolfgang Bortlik. Hektische Helden. Zürich 2002. Niklaus Stöckli. Die sechste Posaune. Zürich 2001. Eine beklemmende Darstellung der Sprach- und Hilflosigkeit eines jungen Rechtsextremisten ist immer noch Otto F. Walter. Die verlorene Geschichte. Reinbek bei Hamburg 1993. Otto F. Walter verarbeitete in seiner Erzählung den „kleinen Frontenfrühling“ von 1989.

Partei National Orientierter Schweizer (PNOS)

Die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) wurde Anfang September 2000 gegründet. Als Signet verwendet die Partei einen Morgenstern in einem Schweizerkreuz. Ein Signet, das sie von der „Neuen Nationalen Front“ übernommen hat, die Mitte der 80er-Jahre für kurze Zeit im Kanton Aargau aktiv war. Präsident ist der heute 24jährige Maurer Sacha Kunz, einst Mitglied von Blood and Honour Schweiz, Vizepräsident ist Jonas Gysin. Die PNOS-ler haben in der Zwischenzeit einige programmatische Schriften ins Netz gehängt. Sie verbinden biologistische Argumentation mit diskriminierenden Forderungen. Im „Kampf für das Überleben unseres Schweizer Volkes“ stelle die PNOS „den besonderen Schutz der Familie als Träger des biologischen Erbens in der Mittelpunkt des politischen Wollens“. Daher müsse die Sozial- und Steuerpolitik „vor allem junge und Kinderreiche (sic!) Schweizer Familien“ fördern und um dies zu erreichen, will die PNOS „die Ausgliederung von Ausländern aus dem schweizerischen Sozialversicherungssystem“. In einem „Spendenbrief“ kündigen sie auch die Schaffung von „mobilen Einsatzgruppen“ an.

Mindestens ein Zeitlang ist der Holocaust-Leugner Bernhard Schaub zum eifrigsten PNOS-Propagandisten geworden, bei den mehreren Veranstaltungen ist er als Redner aufgetreten, intern galt er als „Propaganaleiter“. Auch ist er weiterhin als Vortragsredner unterwegs und tritt bei einschlägig bekannten deutschen Organisationen auf (49). Im Herbst 2002 hat die PNOS bekanntgegeben, dass auch der bekannte Basler Rechtsextremist Eric Weber, der bereits Ende der 80er-Jahre im baselsstädtischen Grossen Rat sass, auf der PNOS-Liste kandidieren werde.

(49) Siehe zum Beispiel Eintrag Straubenhardt/Schwann (Deutschland), 13. April 2002

Nationale Partei Schweiz (NPS)

Mit einigem Lärm trat die „Nationale Partei der Schweiz“ (NPS) im April 2000 erstmals an die Öffentlichkeit. Geplant war die Gründung einer Schweizer Sektion der NPD, doch die Pläne zerschlugen sich nach ersten Medienberichten: Gar zu ungeschickt, führte sich der NPS-Präsident David Mulas auf. Einen Moment schien es gar, als handle es ich um eine politische Totgeburt, doch inzwischen sind sechs Nummern der Parteizeitung „Das nationale Blatt“ erschienen. Das Blättli bestach bis zur Nummer fünf durch seinen schöpferischen Umgang mit der Deutschen Sprache, insbesondere der Klein- und Grossschreibung. Es lobt die Deutsche Wehrmacht, lästert über Cannabis, beschimpft die Berner Antifa und bedroht mehrere missliebige Personen. Nach einem längeren Unterbruch erschien im Frühherbst 2002 nun eine sechste Nummer des „Nationalen Blattes“. Diese Nummer fiel durch eine Professionalisierung des Auftrittes auf.

Auch die NPS behauptet, sie wolle an den Nationalratswahlen teilnehmen. Man wolle, so berichtet „Das nationale Blatt“ im Januar 2001, „in nächster Zeit in verschiedene Schulungen schicken“. Die Wahlchancen erachtet man selbst als gering: „Leider haben wir keine Andere Wahl, als uns diesem System für kurze Zeit zu unterziehen, d. h. Einen Einstieg im Bundeshaus erreichen wir nur durch getarnte Demokratie.“ Ob es nun Drohung oder Angeberei: „Wir werden schon dafür sorgen, dass man unsere Politik zu begreifen lernt.“ Bereits in nächster Zeit sollen sich NPS-Mitglieder für politische Mandate bewerben. „Jedoch werden diese nicht als Vertreter der NPS (vorab nur) eingereicht, weil sonst eine Medienhetze nicht zu vermeiden wäre“.

In Genf agierte im vergangenen Jahr 2001 noch eine Jeunesse Nationaliste Suisse et Européen (JNSE), die einerseits durch die regelmässige Herausgabe eines elektronischen Newsletters und gelegentliche Klebeaktionen in Genf hervortrat. Im Winter 2001/2002 ist die Kleingruppierung plötzlich von der Bildfläche verschwunden und seither nicht wieder aufgetaucht.

Politisch-kulturelle Unternehmen

Neben den Skinheads bestehen in der Schweiz noch andere rechtsextremistische Tendenzen, neben den Holocaust-LeugnerInnen und den politischen Parteien, sind es politisch-kulturelle Organisationen, die sich nicht in institutionalisierten Politik engagieren, das einschlägige Gedankengut jedoch durch kulturelle und/oder politische Bildung verbreiten wollen. In der Deutschschweiz versucht es die Avalon-Gemeinschaft, vorallem auch ihr Primus Roger Wüthrich. An den Avalon-Veranstaltungen treffen sich jugendliche Naziskins, Holocaust-LeugnerInnen, politisierte Rechtsextremisten wie auch die letzten überlebenden Schweizer, die einst in der Waffen-SS kämpften. (50) In der Westschweiz bemüht sich vor allem der Genfer Anwalt Pascal Junod um die Verbreitung rechtsextremer Ideologien, sowohl beim Cercle Proudhon wie auch der Cercle Thulé treten immer wieder französische Vertreter der rassistisch inspirierten Nouvelle Droite und von Rechtsextremisten-Parteien auf.

Seit Jahrzehnten erscheinen in der französischsprachigen Schweiz zwei kleine Publikationen, die rechtsextremistische Positionen verbreiten, einerseits Gaston-Armand Amaudruz‘ „Le Courrier du continent“ , andererseits „Le pamphlet“, herausgegeben und betreut vom Waadtländer Ehepaar Mariette und Claude Paschoud. Seit Jahren hat „le pamphlet“ mit Erscheinungsschwierigkeiten zu kämpfen. Im Dezember 2000 kündigte das Blättchen nun an, dass es – bei gleichbleibenden Abonnementspreis – mutmasslich nur noch fünfmal erscheinen werde (51) . In der Zwischenzeit verbreiten die Paschouds ihr Blättchen auch über das Internet.

(50) Das Grab des Baslers Walter G. Stoll, der Mitte Oktober 2001 verschied und sich bis zu seinem Lebensende in rechtsextremistischen Zusammenhängen bewegte, wird gelegentlich von Skinheads aufgesucht. Siehe auch den Nachruf auf Stoll („der politische Kämpfer und Waffen-SS-Veteran“) in „Das nationale Blatt“, Nr. 5, Mai/Juni 2002, S. 14f
(51) Le pamphlet, No. 300, Décembre 2000, Seite 1, Editorial

Holocaust-Leugner

Seit der Flucht von Jürgen Graf, dem eifrigsten Schweizer Holocaust-Leugner, hat die kleine Gruppe der publizierenden Schweizer Holocaust-Leugner an Schwung verloren. Ein gross angekündigter Kongress, (Ende März 2001 in Beirut) musste kurzfristig abgesagt werden. Und Anfang März 2002 hat das Bezirksgericht von Châtel-Saint-Denis den Verein Vérité et Justice gerichtlich aufgelöst. Doch der Zusammenschluss der Schweizer Holocaust-Leugner hat seine Aktivitäten aufrecht erhalten, davon zeugen die Internet-Präsenz, wie auch die weiteren Nummern des Vereinsbulletins, sowie auch die Organisation eines Vortrages im italienischen Grenzstädtchen Aosta (52) Die Wahl von Aosta als Austragungsort war kein Zufall, im Gegenteil. Italien ist in den vergangenen Jahren zum Schauplatz einschlägiger Veranstaltungen geworden, da gemäss den italienischen Gesetzen Holocaust-Leugnung nicht strafbar ist. Bereits zum dritten Mal innert eines Jahres organisiert die neofaschistische Vereinigung Nuovo ordine europeo eine einschlägige Konferenz. Thema der Veranstaltung am 12. Oktober 2002 in Verona ist gemäss Ankündigung die «Erinnerung an die Millionen ziviler Opfer im Namen der Demokratie und ihrer Lügen» (53). (52) SonntagsZeitung, 8. September 2002
(53) SonntagsZeitung, 8. September 2002

Max Wahl

Zwar hat Max Wahl, inzwischen bald achtzigjährig, einst EDU-Mitglied, später nationalsozialistisch inspirierter Rechtsextremist, unmittelbar vor Inkrafttreten der Rassismus-Strafnorm angekündigt, er werde seine Publikaton „Der Eidgenoss“ einstellen, doch ist er weiterhin aktiv, wenn auch zurückhaltender. Über drei Dutzend Ausgaben seiner „Notizen“ sind zwischenzeitlich erschienen. (54) Gelegentlich bietet Wahl aber auch Bücher an, so beispielsweise ein Buch über „Kornkreise“. In einem Inserat in einer niederländischen Rechtsextremisten-Zeitschrift schreibt er: „Aber wo sind die Stellungsnahmen von Establishement und Medien zu so aussergewöhnlichen Ereignissen? Warum geht man den Überraschungen nicht nach? Man will keine Diskussionen über eine unbekannte Macht, die unsere Politverbrecher schon heute beunruhigt.“ (55) Trotz des langjährigen Aktivismus bleibt der Einfluss von Max Wahl äusserst bescheiden.

Fazit: In einem bedeutenden Teil der Schweizer Gesellschaft haben sich nationalistische – gelegentlich rassistisch motivierte – Deutungsmuster für gesellschaftliche und soziale Probleme aller Art festgesetzt. Neben einigen Kleinparteien fördert auch die Regierungspartei SVP mit diffamierenden Kampagnen ein diskriminationsfreundliches Klima, davon zeugen insbesondere die vielen Einbürgerungsverweigerungen aufgrund der nationalen Herkunft. In einem kleinen Teil der Schweizer Gesellschaft haben sich Strukturen einer rechtsextremen Subkultur (Nazi-Skinheads, Holocaust-Leugner, Politische und Politische-Kulturelle Organisationen) herausgebildet, die insgesamt zwar unbedeutend bleibt, jedoch wächst. Gelegentlich lassen Mitglieder dieser Szene aber ihren diffamierenden Worten Taten folgen, davon zeugt die grosse Anzahl von Angriffen auf die körperliche Integrität. (54) In den „Notizen (35) 20.02.2002“ schreibt Wahl, dass die „Notizen“ für „den engsten Kreis ehemaliger ‚Eidgenoss‘-Abonnenten erscheinen“ würden und dass sie „über Beziehungen abonniert“ werden könnten. Zitiert in: GDO-Rundbrief 2002, Frühlingsausgabe, S, 13.
(55) Consortium de Levensboom, Nummer 5, September/Oktober 2001, S. 15

Post-Scriptum:

Angriffe auf die Boten unerfreulichen Nachrichten

Die Chronologie „Rassistische Vorfälle in der Schweiz“, die seit über zehn Jahren jährlich nachgeführt und publiziert wird, erhält auch die Beachtung jener Kreise, die mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Politik machen. Bei der Ausgabe 2001 erntete vor allem die Erwähnung der vielen Einbürgerungsverweigerungen aus rassistischen Motiven öffentlichen Widerspruch, auch im Nationalrat. Der Thurgauer SVP-Nationalrat Alexander J. Baumann beispielsweise behauptete: „Nach dem Verständnis gewisser Kreise werden allerdings ablehnende Einbürgerungsentscheide als rassendiskriminierende Vorgänge bzw. Verstösse betrachtet. In einer kürzlich erschienenen Broschüre von Hans Stutz, herausgegeben von der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus in Zürich, Ausgabe 2001, werden reihenweise derartige Vorwürfe in die Welt gesetzt. Die Mehrheit (richtig: 25 von 90 Vorfällen in den ersten neun Monaten 2001) der so genannten rassistischen Vorfälle sind nämlich Einbürgerungsgesuche, die ablehnend entschieden worden sind.“ (56) Und der SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer, Herausgeber und Redaktor der Rechtsaussen-Zeitschrift „Schweizerzeit“, behauptete zuerst unzutreffenderweise, die Chronologie habe „zweifellos offiziösen Charakter“ (57), um ihr dann zu unterschieben, sie verbuche ablehnende Gemeindeversammlungs- und Urnenentscheide zu Einbürgerungsbegehren „wahllos“ als rassistischen Vorfall. Jedes „Nein zu einem Einbürgerungsbegehren“ werde „pauschal in den Dunstkreis des Rassismus verwiesen – ein Frontalangriff auf unsere direkte Demokratie.“ Schlüer und Konsorten wollen einerseits davon ablenken, dass die dokumentierten Ablehnungen aufgrund der nationalen Herkunft der Einbürgerungswilligen geschahen, andererseits ärgern sie sich darüber, dass in den vergangenen Jahren verschiedene namhafte JuristInnen darauf hinwiesen, dass auch bei Einbürgerungsentscheiden das Diskriminierungs- und Willkürverbot gilt, ebenso das Rechte auf Schutz der Privatsphäre und der grundrechtliche Anspruch auf Verfahrensfairness (58) . Sie behaupten, sie seien DemokratInnen, aber sie trachten danach, Einheimischen ohne Schweizer Pass den Zutritt zu den politischen Rechten aus Gründen der Herkunft zu erschweren, wenn nicht gar zu verunmöglichen.

Der „Schweizer Demokrat“, die Parteizeitung der Schweizer Demokraten, liess gar zweimal an der Chronologie kein gutes Haar. Zuerst sinniert der Berner SD-Gemeindeparlamentarier Dieter Beyeler: „Herr Stutz mag zugegenermassen (richtig wohl zugegebenermassen, H. St.) ein Zahlenexperte sein, immerhin konnte er über hundert zählen. Aber von direkter Demokratie scheint der gute Mann keine grosse Ahnung zu haben und zeigt auch kein Verständnis für Volksentscheide über Einbürgerungsgesuche. Jede Gemeinde, die Einbürgerungsgesuche ablehnt, gilt also gemäss seiner Aussage als rassistisch.“ (59) In der folgenden Ausgabe des „Schweizer Demokrat“ behauptet WS. (=Willy Schmidhauser, Präsident SD Kanton Thurgau), die Chronologie erhalte „Steuergelder“ und sei überhaupt ein „Skandal“. (60)

Und zum Schluss: Der Verfasser der Chronologie, parteiloser Luzerner Stadtparlamentarier in der Fraktion des Grünen Bündnisses, wurde von seiner Fraktion als Präsident der Bürgerrechtskommission vorgeschlagen, doch – entgegen den sonst üblichen parlamentarischen Usanzen – von den bürgerlichen Fraktionen abgelehnt, unter anderem mit dem Verweis auf die Chronologie (61). Wieder einmal wurde ein Bote unerfreulicher Nachrichten getreten. Immerhin: Eine Verhärtung der Luzerner Einbürgerungspraxis erreichten die bürgerlichen Parteien nicht.

(56) Amtliches Bulletin, Sitzung vom 20. März 2002. Motion sozialdemokratische Fraktion. Beitritt der Schweiz zur Staatsangehörigkeitskonvention.
(57) Schweizerzeit, 5/2002, 22. Februar 2002
(58) Siehe zum Beispiel den Aufsatz von Regina Kiener „Grundrechte und Einbürgerungsverfahren“ in der Chronologie Ausgabe 2001, S. 30 – 36.
(59) Schweizer Demokrat, 3/2002, Seite 12
(60> Schweizer Demokrat, 4/2002, Seite 7. Der Verfasser erhielt daraufhin mehrere anonyme Zuschriften. Auf einer (unvollständig frankierten) Postkarte stand: „Im Schweizer Demokrat Nr. 4 2002, Seite 7 rechts unten steht geschrieben, was für eine ‚miese Ratte‘ Sie sind. Ein Strick wäre das Beste für den Hans Stutz. Welch ein Schandfleck Schweiz!“. Und eine ausreichend frankierte Postkarte aus Grenchen: „Herr Stutz Hans, Sie sind der grösste Netzbeschmutzer des Schweizerlandes, man sollte Sie an einem Seil aufhängen und langsam verrecken lassen zusammen mit illegalen Jugos, Türken und sonstigem Gesindel. (Juden unsw.) Die Schweizer Demokraten haben Sie genannt, was Sie sind. Ein Schmarozer, ein Taugenichts, ein Faulenzer der dem Herrgott den Tag abstihlt. Solche Zigeuner sollte man aus der CH deportieren.“ (Orthografie gemäss Orginal). Und ein Brief, abgestempelt in Klosters endet: „Sagen Sie Dr. Feigel, er solle doch die Schweiz verlassen, er darf Sie ruhig mitnehmen, dort (Israel) müssten Sie die ‚Sauschnorre‘ nämlich halten oder würden umgebracht. Es kann gesamthaft gesagt werden: Die Juden haben nicht ein anderes Leben verdient, es sind Krieger, sie allesamt sollten die CH verlassen. Besorgte Bürger Schweizer Demokraten“.
(61) Siehe zum Beispiel Neue Luzerner Zeitung, 9. März 2002, Leserbrief von Vreni Grüter-Felber, Geschäftsführerin FDP Stadt Luzern: „Wie soll Herr Stutz konstruktiv Einbürgerungen begleiten, wenn für ihn – öffentlich nachweisbar – Nichteinbürgerungen ein rassistischer Vorfall sind, wie immer auch diese begründet sein mögen?“