Einschätzung der Situation 2000

Zürich, 31. Dezember 2000

Weitverbreitete Lust an Diskriminierung

Am 1. August 2000 hält Bundesrat Kaspar Villiger (FDP) an der jährlichen Rütli-Feier eine Rede zum 1. August eine Rede zum Schweizer Nationalfeiertag. Auf einem Hügel und folglich gut sichtbar, hundert bis hundertzwanzig Nazi-Skins, vielleicht auch einige mehr. Sie sind – so berichten Augenzeugen – militärisch geordnet auf die Rütliwiese marschiert. Einige Naziskins tragen Schweizerfahnen, einer eine schwarze Fahne mit Hammer und Schwert, einige tragen eine Bierflasche in der Hand, einige am Hosengurt das Keltenkreuz, das einschlägige Zeichen für die Vorherrschaft der weissen Rasse. Einige heben die Hand zum Kühnengruss, gestreckter rechter Arm mit gespreizten Schwurfingern. Die Skins unterbrechen Villigers Rede ein paar Mal durch Grölen: „Use, Use“. Sie skandieren gelegentlich einen einschlägig bekannten Slogan: „Hier marschiert der nationale Widerstand“. Redner Villiger reagiert, so berichten Journalistinnen und Journalisten, routiniert auf die Zwischenrufe. Gelernt ist eben gelernt. Wie die Kalten Krieger von einst verbindet er zwar jede Kritik am Nationalsozialismus mit einer Kritik am Kommunismus. Ein gewohnter bürgerlicher Reflex. Nach der Rede befrägt die „Rundschau“ von SF DRS Villiger zu den Zwischenrufern und der Bundesrat meint: „Ich kenne diese Leute nicht, ich weiss nicht, was sie politisch wollen. Der Hintergrund würde mich sogar interessieren.“
Diese Ignoranz gegenüber neonazistischen Entwicklungen, die in anderen demokratischen Staaten eine Rücktrittsforderung nach sich ziehen würden, erfährt in der Schweiz wenig publizistische Beachtung, erntet auch kaum politische Widerrede, aber Rechtsextremismus wird zuerst zum medialen Selbstläufer, dann zum politischen Thema. In concreto: Was lange Zeit politische und publizistisch wenig beachtet wurde, wird endlich wahrgenommen: Die Zahl der Rechtsextremisten, insbesondere der Naziskins, ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen, ihre Infrastrukturen (Internet-Seiten, Clubräume) sind besser geworden und ihre Äusserungen radikaler. Wenig beachtet war noch im Mai 2000 der Staatsschutzbericht 1999 der Bundespolizei geblieben, worin die Staatsschützer geschrieben hatten, dass die Szene „weitgehend konspirativ“ organisiert und ein „klarer Trend zur Vergrösserung und auch weiteren Aktivierung“ [Staatsschutzbericht 1999, Bern Mai 2000, S. 13] erkennbar sei. Die Zahl der Anschläge auf Asylunterkünfte wie auch die Zahl der Skinhead-Treffen habe zugenommen.

Bevorzugtes Ziel der Schweizer Naziskins sind seit Jahren Gleichalterige, die sie für Linke halten. Im Frühsommer 2000 verbreitet erstmals ein Schweizer Skinhead Todesdrohungen über Internet. Die Weltwoche, 6. Juli 2000. Der Bedroher (Robert Walser, Meienfeld GR alias Dragon88) wird später vom „Sarganserländer“ ausfindig gemacht „Born to get killed“ steht über den Namen und die Adressen zweier „Linksextremisten“, sie seien schuldig „des Verbreitens Anti-Faschistischer Propaganda“. Einer der Bedrohten erhält daraufhin vermehrt telefonische Drohungen.[Le Matin, 6. 8. 2000] Es bleibt nicht bei Drohungen Mitte Juli 2000 schiessen zwei Berner Naziskins gegen ein Haus, das einst besetzt war und nun von ehemaligen BesetzerInnen legal bewohnt wird.[ Beispielsweise Berner Zeitung, 12. 7. 2000] Das Haus war in den vergangenen Jahren bereits mehrmals von Rechtextremisten angegriffen und auch bereits beschossen worden. Erst im August 2000 wird bekannt, dass die Berner Polizei bereits Anfang Mai zwei Mitglieder der „Nationalen Offensive“, einer Berner Naziskin-Organisation, verhaftet und bei ihnen zwanzig Sprengkörper gefunden hatte. [Siehe Eintrag, Mooseedorf BE/Leuzigen BE, Anfang Mai 2000] Nichts Neues ist allerdings, dass viele Naziskins Waffen besitzen.

Die Gründe für das Ansteigen der Zahl der Rechtsextremisten sind vielfältig, trotzdem lassen sich mehrere Motivationsstränge ausmachen. In den vergangenen Jahren ist – vor allem in der deutschsprachigen Schweiz – die Staatsangehörigkeit zu einem verbreiteten Erklärungsmuster für gesellschaftliche, soziale, pädagogische und viele weitere Probleme geworden. Seit bald fünfzehn Jahren propagiert eine Regierungspartei solche Deutungsmuster auch mit diffamierenden Kampagnen, bis Mitte der 90er-Jahre vielfach unterstützt von Ringiers Boulevardblatt „Blick“. [Noch immer lesenswert: Jürg Frischknecht, Wer ist der Schlimmste im ganzen Land? Der Tamil, der Türk, der Asylant. ‚Blick‘ – der NA bestes Sprachrohr, in: Elvira Y. Müller u.a. (Hrsg.), Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Die Schweiz und ihre Flüchtlinge, Zürich 1986, S. 154-168] Die Fremdenfeinde agieren in einem Traditionsstrom der Schweizer Politik, die seit bald hundert Jahren AusländerInnen als Bedrohung darstellt, einmal die „Überfremdung“, gelegentlich auch die „Verjudung“ beklagt.[ Die 18-Prozent-Initiative, welche der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung auf 18 Prozent limitieren will und Ende September 2000 zur Abstimmung kommt, nimmt diese Tradition auf] Insgesamt sind auch die sozialen Differenzen gestiegen, die langjährige Rezession, sowie Deregulierung und Staats- und Sozialabbau brachten Teilen der Gesellschaft einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abstieg. Die derzeitige Konjunkturerholung kommt nicht allen Wirtschaftssektoren zu Gute, in einzelnen Sektoren (zum Beispiel Landwirtschaft) wird der strukturelle Abbau weitergehen.

Rassismus

Fakt ist: Wer eine nichtweisse Hautfarbe trägt oder sich nicht an einen festen Wohnort festbinden will oder einer nichtchristlicher Religionsgemeinschaft angehört oder nichthetereosexuelle Liebesverhältnisse bevorzugt, läuft eine erhöhte Gefahr in der Öffentlichkeit bedroht, beschimpft, angepöbelt oder abgeschlagen zu werden. Der Mechanismus des Hasses und der Ausgrenzung bleibt, die Feindbilder passen sich den konjunkturellen Bedürfnissen an. Menschen aus den Ländern des einstigen Jugoslawien, sowie aus der Türkei, wie auch Menschen mit schwarzer Hautfarbe (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit) erleiden im täglichen Leben Anfeindungen und Diskriminierungen. Sie werden beispielsweise – dies belegen verschiedene Beobachtungen – häufig nicht zugelassen in nächtlich geöffneten Vergnügungslokalen [Siehe zum Beispiel Eintrag Winterthur, 24. August 1999s], gelegentlich auch in Restaurants. [Siehe zum Beispiel Einträge Reichenburg SZ, Anfang Januar 1999, Region March SZ, 6. August 1998] Die Rassismus-Strafnorm mit ihrem expliziten Diskriminierungsverbot bei öffentlich angebotenen Dienstleistungen konnte diese Diskriminierungen nicht unterbinden, da die Abweisungen unter irgendwelchen Vorwand geschehen. [Bis anhin ist nur wenige Verurteilungen wegen Widerhandlung gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 261bis StGB Abs. 5) bekannt geworden. Siehe beispielsweise Eintrag, Reichenburg SZ, Anfang Januar 1999]

Einbürgerungsverweigerungen

Seit Jahrzehnten pflegt die Schweiz eine restriktive Einbürgerungspolitik. [Georg Kreis/Patrick Kury, Die schweizerischen Einbürgerungsnormen im Wandel der Zeiten, Bern 1996. Über die unterschiedlichen kantonalen Regelungen siehe die Broschüre «Die Einbürgerung der Ausländer in der Schweiz», herausgegeben vom Schweizerischen Gemeindeverband, Schönbühl BE. Eine (teils anekdotische) historische Darstellung der Einbürgerungspraxis in der Stadt Zürich bietet Christian Dütschler, Das Kreuz mit dem Pass. Die Protokolle der ‚Schweizermacher‘, Zürich 1998] Seit Mitte der 90er-Jahre steigt die Zahl der Einbürgerungsverweigerungen. Insbesondere Einbürgerungswillige aus der Türkei und den verschiedenen Staaten des ehemaligen Jugoslawien müssen erleben, dass ihnen die Teilhabe am politischen Leben verweigert wird und ihnen damit weitere gesellschaftliche Sicherheiten vorenthalten werden. Nicht nur dass die Schweiz die strengsten Kriterien (Aufenthaltsdauer mindestens 12 Jahre) für die Erlangung der Staatsbürgerschaft besitzt und unterschiedliche kantonalen Bestimmungen hat [Über den aktuellen Stand der Verfahrensvielfalt siehe: Barbara Boner, Die kantonalen Verfahren zu ordentlichen Einbürgerung von Ausländern, Stand. Dezember 1999, verfasst im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus], in der Anwendung – ausser beim Spezialfall der erleichterten Einbürgerung – verfügen die Einbürgerungswilligen in den meisten Kantonen über keinen Rechtsanspruch. Sie sind der Willkür der Behörden (häufig werden Antragssteller aufgefordert, ihre Gesuch zurückzuziehen) und der demokratisch legitimierter Willkür von Gemeideversammlungen bzw. Volksabstimmungen ausgeliefert. Die Zahl der Einbürgerungen hat zwar seit 1990 zugenommen, doch der Anteil der einbürgerten Menschen ist im Verhältnis zur Zahl der Einbürgerungsberechtigten immer noch sehr gering. Fast 600’000 der 1,4 Millionen in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer könnten das Schweizer Bürgerrecht erwerben, jedoch sind 1998 nur 21’705 Personen aus 146 Staaten eingebürgert worden. [Siehe beispielsweise NZZ und Der Bund, beide 6. März 1999] Nur knapp ein Drittel dieser Eingebürgerten musste keine Willkür befürchten, da sie gemäss den Vorschriften der Erleichterten Einbürgerung einen Rechtsanspruch besassen.

Die Häufung der erfassten Einbürgerungsverweigerungen in den Kantonen Schwyz, Aargau, St. Gallen und Luzern, ist eine Folge der kantonalen Verfahren, welche Volksabstimmungen oder Gemeindeversammlungen vorsieht. Seit Jahren machen die fremdenfeindlichen Parteien, insbesondere die Schweizer Demokraten und die SVP, politische Kampagnen gegen die Einbürgerungen. Exemplarisch die Auseinandersetzungen in der Luzerner Vorortsgemeinde Emmen (mit über 20’000 Einwohnern die 18. grösste Gemeinde der Schweiz). Mitte Juni 1999 stimmte die Mehrheit der Stimmenden für die obligatorische Urnenwahl bei der Einbürgerungen von Ausländerinnen und Ausländern und folgten damit einer Initiative der Schweizer Demokraten. Die SD-Ortsgruppe offenbarte im Abstimmungskampf die diskriminierende Stossrichtung ihres Vorstosses: «Es gibt aber Religionen, die andere Wertvorstellungen als die christlichen haben. Eines der wichtigsten Einbürgerungskriterien ist das Annehmen unserer Gebräuche und Gesetze. Damit aber werden einige Leute aus anderen Religionsgemeinschaften ihre liebe Mühe haben, da sie ganz andere religiös-politische Überzeugungen vertreten müssen. Es ist ihnen gar nicht möglich, unsere Gesetze und Gebräuche zu übernehmen. Deshalb würden diese Leute auch die geforderten Kriterien zur Einbürgerung nicht erfüllen.» [Zitiert in luzern heute, 17. Juni 1999] Im Klartext: Nur Angehörige christlicher Konfessionen können Schweizer oder Schweizerinnen sein. Sowohl im September 1999 wie auch im März 2000 werden ausschliesslich Einbürgerungsgesuche von EinwohnerInnen italienischer bzw. spanischer Herkunft angenommen, die anderen jedoch abgelehnt. Schweizweite Empörung erntet die März-Abstimmung, als 48 von 56 Einbürgerungsgesuchen abgelehnt werden. In einer Stellungsnahme erklärt Urs Ischi (SD), einer der Initianten der Initiative „Einbürgerungen vors Volk“: Das Volk habe richtig entschieden und „alle Gesuche von Leuten abgelehnt, die nicht unserer zentraleuropäischen Mentalität entsprechen“.

Den willkürlichen und rassistisch motivierten Einbürgerungsverweigerungen folgten mehrere parlamentarische Vorstösse. Ende Juni 2000 unterstützte der Nationalrat eine Motion, welche eine erleichterte Einbürgerung forderte. Der Bundesrat wollte den Vorstoss nur als Postulat entgegennehmen. [Amtliches Bulletin, Nationalrat, 14. 6. 2000, Motion Hubmann Vreni, Einbürgerungen erleichtern] Bundesrätin Ruth Metzler verwies auf die Arbeit einer Arbeitsgruppe, welche bis Ende 2000 einen Vorschlag zur Verbesserung machen werde. Auch habe der Bundesrat bereits mehrmals versprochen, die Einbürgerungsverfahren zu harmonisieren, zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Widersprechen die Einbürgerungsverweigerungen aber nicht dem Willkürverbot? Der Jurist Andreas Auer kam in einem entsprechenden Gutachten zum Schluss, dass die Praxis der Einbürgerungsverweigerungen willkürlich und das direktdemokratische Verfahren verfassungswidrig sei: „Es widerspricht nämlich der Funktion und der besonderen Würde der direktdemokratischen Institutionen, die Stimmbürger über etwas entscheiden zu lassen, das sich als verfassungsrechtlich nicht haltbar erweist.“ [Andreas Auer, Einbürgerung durch Volksentscheid, Verfasssungsrechtliche Grenzen der direkten Demokratie, NZZ, 27. 3. 2000] Die juristische Theorie wurde in einem Fall bereits gerichtliche Praxis. Ende März 2000 schützt das Verfassungsgericht Basel-Land einen Rekurs von sechs abgewiesenen türkischen Staatsangehörigen und weist die Einbürgerungen zum Neuentscheid an die Bürgergemeinde zurück, da der Nichteinbürgerungsentscheid gegen das Gebot der Rechtsgleichheit und das Willkürverbot verstosse. [Siehe Eintrag, Pratteln, 4. 12. 1997]

Antisemitismus

Während der Debatte um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nahm die Bereitschaft wieder zu, sich öffentlich antisemitisch zu äussern. [Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, Antisemitismus in der Schweiz. Ein Bericht zu historischen und aktuellen Erscheinungsformen mitEmpfehlungen für Gegenmassnahmen. Siehe auch Andreas Gisler, „Die Juden sind unser Unglück“, Briefe an Sigi Feigel 1997-98, Zürich 1999] Nach der Ankündigung einer Globallösung im Sommer 1998 begannen die antisemitischen Äusserungen und Anspielungen in der Öffentlichkeit abzunehmen, ohne aber ganz zu verschwinden. Eine im März 2000 veröffentlichte Meinungsumfrage kam zum Schluss, dass „rund ein Sechstel der SchweizerInnen eine deutliche Nähe zum Antisemitismus“ habe, auch würden „3 von 5 BürgerInnen“ in der einen oder anderen Frage „mit Positionen der AntisemitInnen“ übereinstimmen. [Einstellungen der SchweizerInnen gegenüber Jüdinnen und Juden und dem Holocaust. Eine Studie des GfS-Forschungsinstitutes im Auftrag der Coordination intercommunautaire conte l’antisémitisme et la diffamation (CICAD) und des American Jewish Comittee (AJC), S. 50] Auch lasse sich eine überdurchschnittliche „Übereinstimmung“ mit antisemitischen Aussagen in der Wählerschaft der SVP feststellen. Der Umfrage erwuchs jedoch Kritik, verschiedene frühere Umfragen in den vergangenen 25 Jahren hatten jeweils 7-9 Prozent AntisemitInnen auswiesen. [Siehe Jüdische Rundschau, 16. 4. 2000]

Der Befund, dass ein Drittel der SVP-Wählerschaft eine deutliche Nähe zum Antisemitismus habe, überrascht nicht. In den Auseinandersetzung um die Schweizer Zweite-Weltkrieg-Vergangenheit aktivierten mehrere SVP-Exponenten antisemitische Vorstellungen. Allen voran Christoph Blocher, wie das Bezirksgericht Zürich in einer minutiösen Analyse von dessen Oerlikoner Rede [Siehe Eintrag Zürich-Oerlikon, 1. März 1997] festhielt: Blocher habe „in hemmungsloser Weise antisemitische Instinkte angesprochen und mit dem Klischee des geldgierigen Juden gespielt“. [Bezirksgericht Zürich (U/DE970017), Urteil vom 24. Dezember 1998, S. 138. Das begründete Urteil wurde erst im Dezember 1999 bekannt]

Eifrigster Antisemit bleibt Erwin Kessler, Präsident und Lohnabhängiger des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), der seine Kritik am Schächten weiterhin mit fanatisierten Ausfällen führt und sich dabei verbreiteter antisemitischer Vorstellungen bedient. [Siehe Eintrag Tuttwil TG, Mai/Juni 1996] Noch bevor Kessler Prozess wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm vom Bundesgericht höchstinstanzlich entschieden worden ist, wurde gegen Kessler bereits ein weiteres einschlägiges Verfahren eröffnet.

Jenische

Trotz vielen schönen Beteuerungen von Beamten und Politikern haben Jenische, insbesondere Romas ohne Schweizer Pass, immer noch Mühe Durchgangsplätze zu finden. Entweder wird ihnen von der Polizei das Anhalten verunmöglicht oder sie werden später vertrieben. [Siehe beispielsweise Eintrag San Vittore GR, 24. August 1998]

Xenophobe Organisationen und Medien

Verschiedene Publikationen verbreiten regelmässig nationalistische und isolationistische Stellungsnahmen. Die grösste Auflage erreicht die „Schweizerzeit“, herausgegeben und redaktionell betreut von Ulrich Schlüer, einst Republikaner, heute SVP-Mitglied und Nationalrat. Schlüers Zeitung verbreitet regelmässig Artikel, die von nationalistischen und fremdenfeindlichen Prämissen ausgehen. Sie unterstützte auch die Kampagne für die 18-Prozent-Initiative. Politische Gegner werden gelegentlich rüde angegriffen. Die Mitglieder der Bergier-Kommission bezeichnete der SVP-Nationalrat als „Lausbuben“, die „eine Tracht Prügel“ verdienten. Auch Alexander Segerts Zeitschrift „Alarm“ äussert sich unablässig vor allem zu zwei Politfeldern: der Drogenpolitik und der Ausländer- und Asylpolitik. Nur noch wenig Widerhall findet Herbert Meiers Postille Abendland. Auch Emil Rahm, wie Meier Mitglied der SVP, verbreitet sein Blatt „Prüfen+Handeln“ weiterhin und führt den Kampf weiter gegen jüdisch-freimaurerische Weltverschwörer, Geheimbünde, die UNO und die EU.

SVP und Rechtsextremismuss

Bei den Nationalratswahlen 1999 wird die SVP – knapp vor der Sozialdemokratischen Partei – die wählerstärkste Partei, nicht jedoch abgeordnetenstärkste Fraktion. Der SVP-Gewinn geht weitgehend auf Kosten ihrer Konkurrentinnen am rechten Politrand, die Freiheitspartei (einst Autopartei) verliert alle Sitze, die traditionell fremdenfeindlichen Schweizer Demokraten retten einen einzigen Sitz. Auch der Europarat äusserte sich „besorgt“ über den Wahlerfolg von Parteien, „die direkt oder indirekt die Fremdenfeindlichkeit, die Intoleranz oder den Rassismus fördern“. [Conseil de Leurope, Menace des partis et mouvements extrémistes pour la démocratie en Europe, Doc. 8607 vom 3. 1. 2000]

In den letzten Wochen des Wahlkampfes übten sich SVP-Exponenten unablässig in Distanzierungen, doch ihre Versuche überzeugten nicht. Wie einst die fremdenfeindliche Aussenseiterpartei Nationale Aktion (NA) hat heute die Regierungspartei SVP braune Flecken auf ihrer Weste. In Genf kandidierte auf der SVP-Liste auch der Anwalt Pascal Junod, seit vielen Jahren ein eifriger Exponent der rassistisch inspirierten Nouvelle Droite. Im Aargau kandidierte ein JSVP-ler, der Verständnis für Hitlers Rassenpolitik geäussert hatte. Im Tessin wollte ein Möchtegern-Bankdirektor SVP-Nationalrat werden, der sich und seine Ehefrau ehemaligen Mitglieder der Waffen-SS als „Gleichgesinnte“ angepriesen hatte. Und im Kanton Jura kandidierte ein SVP-Parlamentarier, der wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm rechtskräftig verurteilt worden war. In einem Interview [SonntagsZeitung, 19. 9. 1999] verteidigte SVP-Parteipräsident Ueli Maurer auch den SVP-Antisemiten Emil Rahm. Die kurzzeitige Aufregung um die rechtsextremen Ränder der SVP erreicht den Höhepunkt eine Woche vor den Wahlen, als der „Sonntags-Blick“ von Blochers Lob für den Basler Holocaust-Leugner Jürgen Graf zum zweiten Mal publik macht. Doch nach dem Wahlsonntag gehen die Regierungsparteien wieder zur traditionellen Schweizerischen Konsenspolitik über. Dabei wäre doch, wie es der ehemalige SP-Parteipräsident Peter Bodenmann im Sommer 2000 formuliert, „neben einer guten Sozialpolitik der Ausschluss der Fremdenfeinde von der politischen Macht“ die beste Medizin gegen Fremdenfeindlichkeit. [Peter Bodenmann, Brandstifter und ihre Biedermänner, Metropol, 22. August 2000, S. 7]

Vorerst ohne politische Reaktion blieben im September 2000 weitere Bestätigungen für die braunen SVP-Flecken. [Neue Luzerner Zeitung, 15. 9. 2000; SonntagsZeitung und Sonntags-Blick, 17. 9. 2000, siehe auch dimanch.ch, 10. 9. 2000] Im Gegenteil: Bei politischer Notwendigkeit grenzen sich SVP-Parteispitzen – meist zaghaft und nur mit Worten – vom Rechtsextremismus ab, bei anderer Gelegenheit machen sie den Neonazis Avancen. Christoph Blocher beispielsweise: „Wenn die bürgerlichen Parteien richtig politisieren, darf es rechts von ihnen keine Partei geben“. [NZZ, 18.4.2000] Und der Zürcher SVP-Ideologe Christoph Mörgeli: „Wen man beerben will, behandelt man so freundlich wie eine Erbtante“ [Die Weltwoche, 9.9.1999] Jürg Frischknecht, langjähriger Beobachter und Analytiker der rechten Strömungen stellt denn auch fest: „Die Rechtsaussen quittierten den unverfrorenen Monopolanspruch nicht mit einem Aufschrei: Im Gegenteil: Sie interpretieren die Erklärungen als erfreuliche Öffnung des grossen Bruders und nahmen zur Kenntnis, dass sie nun als Parteisoldaten Blochers willkommen waren.“ [Jürg Frischknecht, Alles, was rechts ist, Aufbruch, 20. 4. 2000]

Die rechtsextreme Szene – vom Altfaschisten Amaudruz bis zum jugendlichen Skinhead – sieht in Blocher – als Personifizierung der diskrimierenden, hetzerischen und flegelhaften SVP – denn auch nicht einen grundsätzlichen Gegner, sondern wirft ihm mangelnde Konsequenz vor. Immer wieder wird ihm sein Nicht-Engagement beim Referendums-Kampf um die Rassismus-Strafnorm vorgehalten, obwohl Blocher heute die Rassismus-Strafnorm ablehnt.

Fakt ist: Die Regierungspartei SVP – nebst anderen rechten Klein- und Kleinstparteien – betreibt seit Jahren eine Politik, welche den rassistischen Tätern die Opfer bereitstellt, seien es nun linke HausbesetzerInnen, seien es Farbige, seien es Jüdinnen und Juden. Das SVP-Doppelspiel zeigte sich auch im Umgang mit der Rassismus-Strafnorm und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Die Motion des Thurgauer Nationalrates Wilfried Gussets (Freiheitspartei/FPS) zur Aufweichung der Rassismus-Strafnorm wurde im Sommer 1997 auch von vielen SVP-Nationalräten unterzeichnet, so beispielsweise von Christoph Blocher, aber auch von AUNS-Geschäftsführer Hans Fehr und dem „Schweizerzeit“-Herausgeber Ulrich Schlüer, weiter auch vom Berner Samuel Schmid. SVP-Präsident Maurer unterschrieb Gussets Motion zwar nicht, stimmte ihr jedoch Anfang März 1999 in der namentlichen Abstimmung zu, nachdem auch Alexander Baumann „namens der SVP-Fraktion“ die Motion zur Annahme empfohlen hatte. Die EKR ihrerseits geriet in die SVP-Kritik, weil sie – nach der Zweitveröffentlichung von Christoph Blochers Lob für den Holocaust-Leugner Jürgen Graf – der SVP klar und unmissverständlich an die politische Verantwortung erinnert hatte: „Auch eine nationalkonservative Politik muss so vertreten werden, dass keine Alt- und Neonazis sowie Holocaust-Leugner im Kielwasser mitschwimmen können“. Blocher kündigte umgehend parlamentarische Interventionen gegen die Kommission an. Christoph Mörgeli, neugewählter SVP-Nationalrat und Blochers Büttel fürs Grobe, führte den Auftrag aus. In der Begründung seines Postulates zur Abschaffung der EKR, allenfalls der „Einschränkung“ ihres Aufgabenbereiches, behauptet Mörgeli unter anderem, die EKR sei eine „unschweizerische Quasizensurbehörde“ und benütze ihre Kontakte mit Amtsstellen der Kantone und Gemeinden, „vorab zu verfassungswidrigen, indirekten Zensurmassnahmen“. Er übernimmt damit das von Altfaschisten wie Gaston-Armand Amaudruz, aber von von SVP-Antisemiten wie Emil Rahm propagierte Zerrbild der Rassismus-Strafnorm als „Maulkorb“.

Die Holocaust-Leugner

Besonders aktiv der Verein „Wahrheit & Recht“, im Januar 1999 gegründet. Präsident ist der Basler Vielschreiber Jürgen Graf, der heute weltweit zu den einschlägig bekannten Holocaust-Leugnern gehört. Als Sekretär amtet der René-Louis Berclaz, bereits vorbestraft wegen Holocaust-Leugnung. [Siehe Eintrag, Châtel-Saint-Denis FR, 1. März 1997, sowie Bundesgerichtsurteil 6S.186/1999] Weiter im Vorstand sitzt Philippe Brennenstuhl, der erstmals im Februar 1998 als Stiftungsratmitglied der Fondation Aequitas [Die Stiftung will – gemäss Stiftungszweck – unter anderem die „historische Forschung fördern“ und Personen unterstützen, die „verfolgt würden oder Opfer von Pressionen“ seien. Offensichtlich ein Umschreibung für die Unterstützung von Holocaust-Leugnern. Die Stiftung war vorerst beim Genfer Anwalt Patrick Richard untergebracht, der den Altfaschisten und Holocaust-Leugner Gaston Armand Amaudruz in erster Instanz verteidigte, dann aber sein Mandat niederlegt] in Erscheinung trat. Im Herbst 1999 organisierte der Verein Vorträge Genf [Siehe Eintrag, Genf, 13. Oktober 1999] und dann in der Region Zürich. [Siehe Eintrag, Zürich, 9. Dezember 1999s] Anfang März 2000 veranstaltete der Verein in Sitten eine öffentlich angekündigte Veranstaltung. Walliser Strafverfolgungsbehörden verzichteten – trotz mutmasslichen Vorliegens eines Offizialdeliktes – auf die Überwachung der Veranstaltung wie auch auf die nachträgliche Eröffnung eines Strafverfahrens. Erst nachdem der Verein der Holocaust-Leugner seine Broschüre auch an die Eidgenössischen ParlamentarierInnen versandt hatte, kam ein Strafverfahren in Gang. Der Grüne Patrice Mugny erstattete eine Strafanzeige. [Siehe Inserat in Le Nouvelliste, 8. 4. 2000; über dieVeranstaltung: sLe Temps, 10. 3. 2000; SonntagsZeitung, 12. 3. 2000; WoZ, 16. 3. 2000]

Auch Bernhard Schaub ist weiterhin aktiv, einerseits als Referent, [Siehe beispielsweise Deutsche Stimme, Juni 2000: „Schaub ging von der Gegenwart aus und nannte zwei zerstörerische Pseudophilosophien, an die heute die Menschen glauben sollten und die nicht zuletzt zum Niedergang von Mitteleuropa geführt haben: der Materialismus und die Vorstellung der allgemeinen Menschenrechte“] andererseits als Autor. Ende vergangenen Jahres veröffentlichte er in einem Dresdner Verlag eine zweite, überarbeitete Auflage seines Buches „Rose und Adler“, mit dem er sich vor Jahren als Holocaust-Leugner zu erkennen gab. Schaub hat die holocaust-leugnenden Passagen gestrichen, skizziert aber weiterhin seine kruden kulturhistorischen Vorstellungen über den „deutschen Geist und seine Zukunft“. Schaubs Fazit der deutschen Geschichte: „Die Vorherrschaft von Zionismus und Amerikanismus ist die natürliche Folge der Niederlage Deutschlands in zwei Weltkriegen“ [Bernhard Schaub, Rose und Adler, Dresden 1999, S. 88]. Offen rassistisch und antisemitisch, aber auch an traditionelle faschistische Vorstellungen angelehnt ist die Schrift „Reich Europa“ [Reich Europa, Manifest der Reichsbewegung, Dresden 1999], die vorerst ohne Autorenangabe veröffentlicht wurde, aber von Schaub verfasst wurde. [Siehe Buchbesprechung in „Recht+Freiheit“, 21. 12. 1999] Schaub propagiert anstelle der Gleichheit aller Menschen den Führerstaat. Weiter behauptet er, die Juden seien „aussereuropäisch“ und hätten eine „Lebensweise“, die „im Kern nomadisch und internationalistisch“ sei. Die Schrift fordert ein weisses Europa und äussert klare Absichten, was mit Menschen anderer Herkunft nach der Errichtung des Reiches zu geschehen habe: „Die jetzt in Europa lebenden Angehörigen aussereuropäischer Volksgruppen werden in ihre Heimat zurückgeführt.“

Nur noch wenige Aktivitäten entfaltet die Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Zeitgeschichte (AEZ). Innerhalb von achtzehn Monaten verbreitete das AEZ-Gründungsmitglied Arthur Vogt drei Nummern des Vereinsorgans „Aurora“. [Aurora, Organ der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Zeitgeschichte, Nummer 16 bis 18, „Verantwortlicher Redaktor und Verleger: Arthur Vogt“]Alle Hefte leugnen die geplante Massenvernichtung der Juden. Die antisemitische Motivation Vogts wird offenkundig, seit Vogt auch bekannte antisemitische Bücher zum Verkauf anbietet. [So in Aurora Nummer 17 und Nummer 18, darunter „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ von W. Marr]

Die «Le Pamphlet», herausgeben vom Lausanner Ehepaar Paschoud und in kleiner Auflage erscheint, verbreitet weiterhin in bescheidener Auflage ihr Blättchen, das rassistische Unterstellungen verbreitet und den Holocaust andeutungsweise in Frage stellt. Im Alleingang veröffentlicht der Genfer Alfred Künzli sein deutschsprachiges Blättchen «Euronews», über dessen Auflage und Reichweite ist wenig bekannt. Eine grössere Verbreitung hat die Zeitschrift «Recht+Freiheit», redaktionell betreut vom einstigen Basler SVP-Mitglied Ernst Indlekofer. Offizieller Herausgeber der Zeitung, ein Sprachrohr zu Gunsten der Holocaust-Leugner, ist ein Presseclub Schweiz, über dessen Strukturen und Mitgliederstärke bis anhin nur wenig bekannt geworden ist. Im Mai 1999 erschien erstmals auch eine französischsprachige Ausgabe. Weiterhin publiziert auch der bald achtzigjährige Gaston-Armand Amaudruz sein hektographiertes Blättchen „Courrier du continent“. Auch der Winterthurer Hitler-Verehrer Max Wahl, ebenfalls bald achtzig, ist weiterhin aktiv. Er stellte zwar Ende 1994 das Erscheinen seines Blättchens „Eidgenoss“ ein, beliefert „den engsten Kreis ehemaliger ‚Eidgenoss‘-Abonnenten“ [GDO-Rundbrief 2000, Frühlingsausgabe, S. 5f, ebenso GDO-Rundbrief 2000, Sommerausgabe ] weiterhin mit „Notizen“. Der Charakter von Wahls Schrift bleibt trotz Namensänderung und zurückhaltender Verbreitung unverändert.

Skinheads

Seit bald drei Jahren erhält vor allem die Naziskin-Szene Zulauf, vor allem in ländlichen Gebieten und Kleinstädten bildeten sich cliquenähnliche Gruppen, die oft keinen Namen tragen. Auf nationaler Ebene organisieren sich die Naziskins in zwei Strukturen, die beide international aktiv sind: Einerseits die Hammerskins, die sich als Skin-Elite und rassistische „weisse Bruderschaft“ verstehen, andererseits die „Blood and Honour“-Bewegung, die bereits in den Achtziger Jahren vom britischen Nazirock-Sänger Jan Stuart gegründet wurde und sich auf die Traditionen der Waffen-SS bezieht. Vor allem die Westschweizer Skins um den Neuenburger Olivier Kunz trieben die Spaltung voran, da sie die Hammerskins als zu wenig politisch militant hielten. Im Juni 2000 veröffentlichten die Westschweizer ihr erster Heft „Blood & Honour, Romandie“. [Blood & Honour Romandie, Numéro 1, Sommer 2000] Neben den szeneüblichen Konzertberichten und Interviews mit Musikgruppen sinniert ein unbekannter Schreiber, der sich „Edelweiss“ nennt, über neue Taktiken und Ziele und postuliert einen „Stammesgeist“ und drei strategische Leitlinien. Die „grossen, überbevölkerten und multikulturellen Städte“ seien „kein Ort für Nationalisten“, man solle diese Umgebung verlassen, da sie „zu feindselig für die Blüte eines rassistischen Bewusstseins“ sei. Und da zweitens die Kinder „unsere Zukunft“ seien, sollen sie nicht mehr die staatlichen Schulen besuchen, die „gleichmacherische, humanitäre und drittweltfreundliche Gehirnwäsche“ („lavages de cerveau égalitaires, humanitaires et tiers-mondialistes“) betrieben. Und drittens will „Edelweiss“ die Skinhead-Bewegung teilweise abkoppeln von den „kosmopolitischen und kapitalistischen Händlern“, hin zu einem Tauschhandel unter Gleichgesinnten. Solche strategischen Überlegungen sind neu für eine Bewegung, deren grösste intellektuelle Herausforderung meist die kostengünstige Bereitstellung von ausreichend Bier war.

Die Schweizer Hammerskins eröffneten zu Jahresbeginn im luzernischen Malters einen Clubraum, in dem seither mehrere Konzerte, wie auch verschiedene andere Veranstaltungen stattfanden.

Avalon Gemeinschaft

In der Avalon Gemeinschaft, die 1990 gegründet wurde, treffen sich weiterhin Skinheads, Holocaust-Leugner, einstige Mitglieder der Waffen-SS wie auch Neonazis zu Diskussionen sowie zu Feiern. Jährlicher Höhepunkt ist die Wintersonnenwendfeier. Der Avalon-Vorsitzende Roger Wüthrich, einst Nationale Aktion, dann Wiking-Jugend Schweiz, versucht sich als Organisator und Rechtsberater der gesamten Rechtsextremisten-Szene zu etablieren. Er referiert auf Einladung von Skinheads und versucht, sich als Kopf der Rechtsextremisten-Szene zu etablieren. Ende August 2000 forderte er in einem Memorandum „einen Freiraum für rassistisches Denken und Handeln“. [SonntagsZeitung, 27. 8. 2000, siehe auch Die Weltwoche, 7. 9. 2000] Wüthrichs Versuch die rechtsextreme Szene politikfähig zu machen, war aber von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Schweizer Rechtsextremisten im Internet

Wie für andere gesellschaftlichen Gruppen und Subkulturen ist auch die rechtsextremistische Szene das Internet zu einer wichtigen Kommunikationsplattform geworden. Wenn auch davon auszugehen, dass neonazistische, antisemitische und/oder rassistische Seiten zumeist von bereits Eingeweihten sowie von den engagierten GegnerInnen gelesen werden, so ermöglicht das Netz eine schnellere Kommunikation, insbesondere per E-mail oder über Mailboxen. Die Präsenz von Schweizer Rechtsextremisten im Internet bleibt aber bescheiden. Längere Zeit halten konnten sich bis anhin nur die „Wilhelm Tell“-Seite der Schweizer Holocaust-Leugner (seit März 1998) und Ernst Indlekofers „Recht+Freiheit“ (ebenfalls seit März 1998). Meist nicht lange Bestand hatten Internet-Projekte von Schweizer Skinheads, gelegentlich auch weil die Betreiber unter strafrechtlichen Druck gerieten. So schloss im Sommer 2000 auch Stefan Wegmann, Meilen seine professionell erstellten Seiten wieder, nachdem die Untersuchungsbehörden ein Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm gegen ihn eröffneten. Auch vom Netz ging im Sommer 2000 Robert Walser, Meienfeld alias Dragon88, der auf seiner Seite drei missliebige Personen mit dem Tod bedrohte. [Die Weltwoche, 6. 7. 2000]

Wenig weitergekommen ist die Auseinandersetzung um die Sperrung des Zuganges zu rechtsextremistischen, rassistischen und/oder antisemitischen Seiten. Im Sommer 1998 hatte die Bundespolizei hatte die Bundespolizei mit grossem publizistischen Getöse die Sperrung einiger rassistischer Internet-Sites angekündigt. Sie tat dies zu einem Zeitpunkt, da die Auseinandersetzungen um Weltkriegs-Vergangenheit und die Nachrichtenlosen Vermögen noch heftig waren und Bundesbern jede Gelegenheit willkommen war, um mit den Fingern auf die USA zeigen zu können. Motto: Die Schweiz tut etwas gegen Rassismus im Internet, währenddem die USA tatenlos zusehen. Die Schweizer Internet-Provider protestierten unverzüglich, daraufhin trafen sich Vertreter der Branche sowie verschiedener Bundesstellen zu Sitzungen. Ein bestelltes Rechtsgutachten, verfasst vom Bundesamt für Justiz, missfiel der Internet-Branche. Im Mai 2000 veröffentlichte die Bundepolizei ein Positionspapier. [Die strafrechtliche Verantwortung von Internet Service Providern, April 2000] Die wichtigste Empfehlung: Zugang-Provider sollen eine Internet-Seite sperren, wenn sie durch Strafverfolgungsbehörden konkrete und detaillierte Hinweise auf strafrelevante, zum Beispiel rassistische Inhalte erhalten. Was aber ist in der Schweiz seit Sommer 1998 im Kampf gegen Rassismus im Internet tatsächlich geschehen? Einige Schweizer Zugang-Provider sperrten einige rassistische Seiten. In Basel kommt ein Strafverfahren gegen Jürgen Graf, der 1998 und 1999 verschiedene holocaust-leugnende Texte über das Netz verbreitete, nur zögernd voran. Das ist – soweit öffentlich bekannt – alles. Das Warten auf griffige bundespolizeiliche Massnahmen liess untergehen, dass engagierte und fachkompetente Privatpersonen oder Organisationen – nach entsprechender Warnung der Provider – ja auch Strafklagen gegen jene einreichen können, welche rassistische Seiten nicht sperren.

Politische Parteien und Gruppierungen

Recht der traditionell fremdenfeindlichen Schweizer Demokraten bestehen noch einige weitere Parteien. In der Westschweiz beispielsweise die Union des Patriotes Suisses, eine Rechtsabspaltung der Schweizer Demokraten. Die Partei beteiligte sich im Kanton Genf erfolglos an den Nationalratswahlen.

Die Katholische Volkspartei (KVP), präsidiert vom Amriswiler Lukas Brüwiler-Frésey, verbreitete auch im vergangenen Jahr mehrmals die verschwörungsphantastische Mär von einer geplanten Weltregierung: „Demokratie, Föderalismus, Freiheit und Rechtsstaat – die Werte des christlichen Abendlandes – werden auf dem Weg zur Weltregierung der antichristlichen Sekten eingehen.“ [Nationalfeiertag 2000: totalitäre Nabelschau, veröffentlicht auf www.kvp.ch] Die katholisch-fundamentalistische Partei beklagt immer noch die Helvetik und damit die Werte der Französischen Revolution. Die KVP, die nur über wenige kantonale Sektionen verfügt, bleibt weiterhin in der Bedeutungslosigkeit stecken.

Im Winter 2000 verkündeten Sprecher der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD), sie wollten auch in der Schweiz eine Sektion aufbauen. Mitte April gründeten eine unbekannte Anzahl Rechtsextremisten eine Nationale Partei Schweiz (NPS), Präsident wird der Berner Naziskin David Mulas. Nachdem die Grund publik wird [Der Bund, 26. 4. 2000], kam die Partei soweit unter Druck, dass Mulas die Parteiauflösung ankündigte. Eine Fehlmeldung. Im Juni erschien die erste Nummer des NPS-Organs „Das Nationale Blatt“, in dem die Auflösung dementiert wird. Im Juni tauchten in der Stadt Bern wieder NPS-Kleber auf.

Fazit: Fazit: In grossen Teilen der Schweizer Gesellschaft haben sich nationalistische Deutungsmuster für gesellschaftliche und soziale Probleme aller Art mindestens ansatzweise durchgesetzt. Neben einigen Kleinparteien fördert auch die Regierungspartei SVP mit diffamierenden und hetzerischen Kampagnen das diskriminerende Klima. Auch haben sich in einem kleinen Teil der Gesellschaft Strukturen einer rechtsextremen Subkultur (Holocaust-Leugner, Skinheads und teilweise Hooligans), herausgebildet. Ein Teil dieser Männer lässt bei Gelegenheit den diskriminierenden Worten auch Taten folgen. Die vorliegende Chronologie weist denn auch für das Jahr 1999 eine bis anhin nie erreichte Zahl von rassistisch oder rechsextremistisch motivierten Vorfällen nach.