Themenschwerpunkt Interreligiöser Dialog als Instrument zur Prävention von Diskriminierung

Zürich, 01. Mai 2018

von Marc Bundi

 

Interreligiöser Dialog ist der Prozess der Verständigung und des Zusammenwirkens von Gläubigen verschiedener Religionen und unterschiedlicher kultureller Prägung in einem Klima des wechselseitigen Respekts und gegenseitiger Achtung. Die am Dialog Beteiligten anerkennen einander in ihrer fundamentalen Andersheit als gleichberechtigte Partner. Sie stehen der eigenen und fremden religiösen Tradition offen gegenüber und respektieren andere Glaubensüberzeugungen. Absolutheits- und Exklusivitätsansprüche auf Alleingeltung der eigenen Religion sollen überwunden und Wahrheitsansprüche der verschiedenen Religionen gleichberechtigt nebeneinander gestellt werden.

Interreligiöser Dialog ist aber auch ein gesellschaftliches Projekt, das auf ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit ausgerichtet ist. Dabei gilt es Differenzen zu respektieren und gleichzeitig nach einer gemeinsamen Basis zu suchen, auf der ein fruchtbares gesellschaftliches Zusammenleben in gegenseitiger Achtung und gutem Einvernehmen möglich ist.

 

Das Hauptziel des interreligiösen Dialogs besteht – auf lokaler, gesellschaftlicher und internationaler Ebene – in der Förderung eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens sowie in der Verhinderung von Radikalisierung.

Durch Migrations-, Individualisierungs- und Ausdifferenzierungsprozesse hat sich in der Schweiz seit den 1990er Jahren eine religiös und weltanschaulich heterogene Landschaft herausgebildet. Mit der zunehmenden religiösen Pluralisierung und der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft ergeben sich Veränderungen im Verhältnis von Staat und Religion. Der Kanton Zürich hat auf diese Veränderungen reagiert und im November 2017 eine Orientierung zur Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion vorgelegt. Darin wird in einem ersten Leitsatz festgestellt, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften wesentlich für die Gemeinschaft sind, weil sie an Wertgrundlagen mitwirken, die für das Gemeinwesen unerlässlich sind und die der säkulare Staat nicht selber schaffen kann. Die Anerkennung der gesellschaftsrelevanten Rolle von Religion für die Gestaltung des Gemeinwesens durch den Staat ist in dieser Art zukunftsweisend. Im zweiten Leitsatz wird festgehalten, dass Religionen den öffentlichen Frieden wahren und zum friedlichen und solidarischen Zusammenleben beitragen, indem sie Werte wie Nächstenliebe, Toleranz und Gewaltlosigkeit vermitteln. Zusammen mit dem Staat sind die Religionsgemeinschaften heute neben anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zentrale Trägerinnen für ein friedfertiges und tolerantes Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Dabei sind sich die staatlich anerkannten Kirchen als intermediäre Organisationen ihrer besonderen gesellschaftlichen und religionspolitischen Verantwortung für den Religionsfrieden bewusst und sind gewillt, den interreligiösen Dialog auszuweiten und zu vertiefen. Sie sind zudem bestrebt, neu zugewanderten Religionsgemeinschaften zu helfen, sich in das geltende religionsrechtliche System des Staates einzufügen und sich in der Gesellschaft zu integrieren. Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Entfremdung von Religion und einer gleichzeitigen religiösen Pluralisierung im Kontext von Migration sind die Kirchen herausgefordert, neue Dialogprozesse in Gang zu setzen und bereits laufende Dialoge kritisch zu reflektieren.

Die Reformierte Kirche des Kantons Zürich verfügt seit 2004 über die Stelle eines Beauftragten für den interreligiösen Dialog. Der Beauftragte trägt mit seiner Tätigkeit zum Aufbau und zur Pflege von konstruktiven Beziehungen mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften bei und setzt sich als vermittelnde Instanz für ein gedeihliches Mit- und Nebeneinander der im Kanton bestehenden Religionsgemeinschaften ein. Im Rahmen dieser Tätigkeit arbeitet er eng mit den bestehenden Akteuren der interreligiösen Plattformen zusammen. Im Kanton Zürich gibt es gegenwärtig drei solche Plattformen für den interreligiösen Dialog, die alle auf Initiativen von reformierten Pfarrpersonen zurückgehen:

 

Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID)

Das Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (1994 bis 2015 Zürcher Lehrhaus) geht auf die Initiative von Pfarrer Martin Cunz zurück. Das ZIID ist eine Bildungsinstitution, die sich dem interreligiösen Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam widmet. Die Arbeitsschwerpunkte des ZIID umfassen Wissensvermittlung, Aufklärungs-, Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit, Beratungs- und Vernetzungstätigkeit sowie die Publikation von wissenschaftlichen Beiträgen.
https://www.ziid.ch/

 

Zürcher Forum der Religionen

Das Zürcher Forum der Religionen wurde 1997 auf Initiative von Pfarrer Peter Wittwer gegründet. Es versteht sich als Zusammenschluss religiöser Gemeinschaften und staatlicher Stellen im Kanton Zürich und fungiert als Bindeglied zwischen den fünf grossen Weltreligionen Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam. Das Zürcher Forum der Religionen setzt sich sowohl für den interreligiösen Dialog als auch für den Austausch zwischen religiösen und politischen Institutionen ein.
http://www.forum-der-religionen.ch/

 

Interreligiöser Runder Tisch im Kanton Zürich

Der Interreligiöse Runde Tisch wurde 2004 auf Initiative des damaligen Kirchenratspräsidenten Pfarrer Ruedi Reich gegründet. Beim Runden Tisch treffen sich die Leitungsverantwortlichen der im Kanton Zürich bestehenden Religionsgemeinschaften regelmässig zum Ideen- und Gedankenaustausch. Dabei werden aktuelle Probleme und Projekte diskutiert und vereinzelt auch öffentliche Stellungnahmen abgegeben. Im Hintergrund leistet der Interreligiöse Runde Tisch auf verschiedenen Ebenen Vermittlungsarbeit zwischen Religionsgemeinschaften und Behörden.
http://www.rundertisch.ch/

 

Den drei vorgestellten Gremien ist gemeinsam, dass sie der Abschottung von Religionsgemeinschaften untereinander entgegenwirken, sich für Religionsfreiheit und Religionsfrieden einsetzen und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen. Im Weiteren setzen sie sich gegen jede Form der Diskriminierung ein, insbesondere gegen Diskriminierung auf Grund der Religionszugehörigkeit.

Interreligiöse Dialoge fördern – im Unterschied zu «einseitigen» religiösen Friedensinitiativen – die direkte Begegnung und den Austausch mit dem Anderen. Sie tragen dazu bei, Vertrauen zwischen Menschen aus verschiedenen Religionsgemeinschaften zu schaffen, Vorurteile abzubauen sowie ein besseres Verständnis füreinander und gegenseitigen Respekt zu entwickeln. Dialog bezeichnet dabei einerseits einen Prozess der Selbstwerdung; der Mensch wird erst in der Begegnung mit dem Anderen zu dem, was ihn einzigartig und besonders macht. Dieses Verständnis ist in Martin Bubers Worten «Der Mensch wird am Du zum Ich» ausgedrückt. Der Dialog ist aber auch ein Lernprozess über sich selbst; ein innerer Prozess der Selbsterkenntnis, in dem subjektive Perspektiven kritisch reflektiert und hinterfragt werden. Die Begegnung mit dem Anderen bietet die Gelegenheit, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen, den eigenen Horizont zu erweitern und an dieser Erfahrung persönlich zu wachsen.

Der interreligiöse Dialog fördert aber auch die Solidarität zwischen Angehörigen der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und schafft in der Bevölkerung Verständnis und Vertrauen. Die Leitungsverantwortlichen der drei im Kanton Zürich bestehenden Plattformen für den interreligiösen Dialog treten in öffentlichen Stellungnahmen gegen gesellschaftliche Vorurteile und die daraus resultierende Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen ein und tragen mit Grundlagen- und Positionspapieren, Handreichungen und Leitfäden zur Versachlichung von politisch und emotional aufgeladenen Debatten bei.

In diesem Sinne ist interreligiöser (und interkultureller) Dialog auch ein Instrument zur Prävention von Diskriminierung und Radikalisierung. Im «Bericht über die Massnahmen des Bundes gegen Antisemitismus in der Schweiz» der eidgenössischen Fachstelle für Rassismusbekämpfung (2017: 18) sowie im «Nationalen Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus» (2017: 17) wird explizit auf den interreligiösen Dialog als Instrument der Prävention hingewiesen. In Deutschland enthielt bereits der Koalitionsvertrag von 2005 einen Passus, der den Dialog zum präventionspolitischen Schlüsselbegriff erhob: «Ein interreligiöser und interkultureller Dialog ist nicht nur wichtiger Bestandteil von Integrationspolitik und politischer Bildung; er dient auch der Verhinderung und Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Extremismus». Aus den angeführten Dokumenten wird ersichtlich, dass Integrationspolitik in zunehmendem Masse über den interreligiösen Dialog geführt wird. Diese enge Verknüpfung von Integration und Dialog kann aber durchaus auch kritisch hinterfragt werden. Der Politik- und Sozialwissenschaftler Levent Tezcan (2006; vgl. Schmid 2010: 520-521) hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die zunehmend institutionalisierte Struktur des Dialogs und ihre strenge Ausrichtung auf die Integrationspolitik die Gefahr einer Fremdsteuerung des interreligiösen Dialogs durch die Politik berge; die Gefahr, «dass man das Entscheidende, das im Dialog impliziert ist, verfehlt: sich dem anderen aussetzen» (Tezcan 2006: 32). Gerade dies aber – sich dem anderen aussetzen, auf ihn zuzugehen, ihm zu begegnen, müssen Dialogprojekte leisten, sofern sie wirklich zum Abbau von Vorurteilen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus beitragen wollen.

 

ℹ Marc Bundi ist verantwortlich für den Bereich «Beziehungen und interreligiöser Dialog» der Reformierten Kirche des Kantons Zürich.

 

 


Literaturhinweise

Buber, Martin, Ich und Du. Berlin, 1922.

CDU Deutschlands/CSU Landesleitung /SPD Deutschlands(Hrsg.), Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Rheinbach, 2005.

Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB)im Eidgenössischen Departement des Inneren, Bericht über die Massnahmen des Bundes gegen Antisemitismus in der Schweiz, 10. Oktober 2017.

Schmid, Hansjörg,Integration durch interreligiösen Dialog? Versuch einer Verhältnisbestimmung, In: Die Rolle der Religion in der Integrationspolitik. Die deutsche Islamdebatte, 2010.

Sicherheitsverbund Schweiz / Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus, 4. Dezember 2017.

Tezcan, Levent, Interreligiöser Dialog und politische Religionen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 28/29, 2006.