Einschätzung der Situation 1999

Zürich, 31. Dezember 1999

«… sind bei gewissen Völkern Reinkultur»

Jahreswende 1998/1999. Dreimal innerhalb von wenigen Wochen tötet in der Stadt St. Gallen ein Mann einen anderen Mann. Alle drei Täter konnte die Polizisten innerhalb von wenigen Tagen ermitteln. Zweimal erregen die Tötungsdelikte nicht mehr öffentliche Aufmerksamkeit als üblich. Zuerst ersticht ein Jugendlicher bei einem Streit auf der Strasse einen Mann. Dann tötet ein junger Arbeitloser einen alten Mann, nachdem er auf der Suche nach Geld war. Mangelnde soziale Integration lässt einen Marginalisierten einen Ausweg nur in einem Raub sehen. Das dritte Tötungsdelikt, begangen an einem Lehrer, einer gesellschaftlichen Autoritätsperson also, begangen von einem arbeitslosen Vater, der keinen Schweizer Pass besitzt, führte in der Deutschen Schweiz zu einer Welle rassistischer Leserbriefe, auch zu massiven Drohungen, aber auch zu politischen Vorstössen. Leserbriefredaktionen liessen es dabei zu, dass Stellungsnahmen erschienen, welche ausschliesslich verleumderisch sein wollten. Nur ein Beispiel: «Unsere MultiKulti-Sympathisanten mahnen immer, dass fremde Kulturen respektiert werden müssen. Schiessen, Stechen, Prügeln und familiäre Gewaltregime sind bei gewissen Völkern Reinkultur. Übrigens ist Gejajkai, kein jugoslawischer, sondern ein albanischer Name. Also wieder ein Kosovo-Albaner! Das bisher bei uns Erlebte ist leider nur ein Vorgeschmack von dem, was noch auf uns zukommt.» (Erst nach Abschluss dieses Textes wird der Presserat Empfehlungen zum redaktionellen Umgang mit rassistischen LeserInnen-Beiträgen veröffentlichen).

Die Staatsangehörigkeit ist – vor allem in der deutschsprachigen Schweiz – zum verbreiteten Erklärungsmuster für gesellschaftliche, soziale, pädagogische und noch weitere Probleme geworden. Rassismus ist, so definiert der Rassismus-Forscher Albert Memmi, «die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen». Die rassistische Anklage, so Memmi weiter, stütze sich «bald auf einen biologischen und bald auf einen kulturellen Unterschied. Einmal geht sie von der Biologie, dann wieder von der Kultur aus, um daran anschliessend allgemeine Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Persönlichkeit, des Lebens und der Gruppe des Beschuldigten zu ziehen.» [Blick, 15. Januar 1999. Der Verfasser dieses Leserbriefes ist wegen Widerhandlung gegen die Rasssismus-Strafnorm vorbestraft und steckt bereits wieder in einem einschlägigen Verfahren]

Tatsache ist: Wer eine nichtweisse Hautfarbe trägt oder sich nicht an einen festen Wohnort festbinden will oder einer nichtchristlicher Religionsgemeinschaft angehört oder nichthetereosexuelle Liebesverhältnisse bevorzugt, läuft eine erhöhte Gefahr beschimpft, angepöbelt oder abgeschlagen zu werden. Der Mechanismus des Hasses und der Ausgrenzung bleibt, die Feindbilder passen sich den konjunkturellen Bedürfnissen an. Menschen aus den Ländern des einstigen Jugoslawien, sowie aus der Türkei, wie auch Menschen mit schwarzer Hautfarbe (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit) erleiden im täglichen Leben Anfeindungen und Diskriminierungen. Sie werden beispielsweise – dies belegen verschiedene Beobachtungen – häufig nicht zugelassen in nächtlich geöffneten Vergnügungslokalen [Siehe zum Beispiel Einträge Zürich], gelegentlich auch in Restaurants. [Siehe zum Beispiel Einträge Reichenburg SZ, Anfang Januar 1999, Region March SZ, 6. August 1998] Die Rassismus-Strafnorm mit ihrem expliziten Diskriminierungsverbot bei öffentlich angebotenen Dienstleistungen konnte diese Diskriminierungen nicht unterbinden, da die Abweisungen einfach unter irgendwelchen Vorwand geschehen. [Bis anhin ist nur eine (noch nicht rechtskräftige) Verurteilung wegen Widerhandlung gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 261 bis StGB Abs. 5) bekannt geworden. Siehe Eintrag, Reichenburg SZ, Anfang Januar 1999]

Welchen Diskriminierungen und welche Angriffen sind welche Minderheiten in der Schweiz ausgesetzt? Wer verübt welche Angriffe? Welche politischen Kräfte schlagen welche diskriminierenden Massnahmen vor? Welche politischen Parteien, Gruppierungen und Personen sorgen für ein gesellschaftliches Klima, welches Diskriminierungen und Angriffe begünstigt?

Die Schweizer Politik gegen AusländerInnen

Die Schweizer Ausländerpolitik geht weiterhin von pauschalisierenden Abneigungen aus. Der «Ausländerbericht 1997», erschienen Anfang 1999, [Bundesamt für Ausländerfragen, Ausländerbericht 1997, Ausgewählte Frage und Probleme im Ausländerbereich] will den Anschein erwecken, dass der grosse Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an der Bevölkerung Ursache sei für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, folglich die Opfer selber schuld seien. Ein traditionelles Muster wird also weiter gepflegt, wie ein Blick auf die antisemitisch inspirierte Politik gegen jüdische Flüchtling beweist: «Die Abwehr der Juden, zumal des fremden Juden, als Leitmotiv des eidgenössischen Antisemitismus ist auch der Bezugspunkt für die judenfeindliche Flüchtlingpolitik seit 1933. Nichts könnte den Zusammenhang zwischen antisemitisch bestimmter Fremdenfeindlichkeit und Flüchtlingspolitik besser verdeutlichen als die Begründung mit der die Justizbehörde beim Bundesrat im März 1938 Massnahmen beantragte: ‚Wenn wir einer unseres Landes unwürdigen antisemitischen Bewegung nicht berechtigten Boden schaffen wollen, müssen wir uns mit aller Kraft und wenn nötig mit Rücksichtlosigkeit der Zuwanderung ausländischer Juden erwehren, ganz besonders vom Ostern her.‘ In dieser Begründung wird der verquere Charakter eines verschweizerten Antisemitismus sichtbar: Nicht der ‚ausländische‘ Antisemitismus ist zu bekämpfen, sondern die fremden Juden sind abzuwehren.» [Jacques Picard, Die Schweiz und die Juden 1933-1945, Zürich 1994, S. 37]

Im Zeitpunkt grosser Flüchtlingsnot in Kosovo nahm der Bundesrat die Befürchtungen nationalistischer Fremdenfeinde auf und schlug ein Arbeitsverbot für kosovo-albanische Flüchtlinge vor. Ein Vorschlag, der von vielen Kantonen (mindestens vorerst) abgelehnt wurde.

Der diskriminierende Diskurs nährt sich vorwiegend von Klagen über kriminelle Asylbewerber. Verschiedene politische Vorstösse verlangten diskriminierende Massnahmen, die sich teils gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber, teils gegen alle Ausländerinnen und Ausländern richten sollen.

In mehreren Kantonen verlangten fremdenfeindliche Parlamentarier getrennte Klassen für Ausländer und Schweizer. [Eine ausführliche Dokumentation über diese Vorstösse bietet Ruedi Tober, Gerät die Integration politisch unter Druck? In: Magazin für Schule und Kindergarten, Nr. 112, Juni 1999, S. 11-16] Der Bundesrat hat diese Vorschläge als unvereinbar mit der Rechtsgleichheit abgelehnt. [Nationalrat (98. 3656) Interpellation Bühlmann vom 18. Dezember 1998. Die Antwort des Bundesrates ist auch abgedruckt in Magazin für Schule und Kindergarten, Nr. 112, Juni 1999, S. 17-18] Auch das Bundesgericht musste in einem Entscheid explizit festhalten, dass Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz nicht offiziell diskriminierend behandelt werden dürfen: Es hob den Entscheid des Zürcher Kassationsgerichtes auf, in dem ein ausländischer Verkäufer illegaler Drogen wegen seines Status als Ausländer härter bestrafen wollte. [Urteil Bundesgericht vom 15. Januar 1999, Urteil 6S.657/1998] Die Zürcher Richter hatten dem Verurteilten explizit vorgeworfen, die «Gastfreundschaft» missbraucht zu haben und damit einen bei Fremdenfeinden beliebten Gedankengang aufgenommen.

Armee und Rechtsextremismus

Ausgelöst durch Meldungen über einen rechtsextremistischen Fliegerleutnant [Siehe Eintrag Lindau/Passau (Deutschland), 7. Februar 1998], mehr noch aber durch detaillierte Medienberichte über rechtsextreme Umtriebe in der deutschen Bundeswehr kündigte Bundesrat Adolf Ogi im Frühjahr 1998 einen Bericht zu Rechtsextremismus in der Armee an. Das Thema wurde von der VBS-Bürokratie auf «Linksextremismus» ausgeweitet. Die Studie [Extremismus in der Armee. Bericht des Generalstabschef an den Chef VBS, 16. Dezember 1998, veröffentlicht Ende Januar 1999] stellt zutreffend fest, dass Rechtsextremismus in der Armee nicht weiter verbreitet als in der Gesamtbevölkerung. Allerdings verzichtet der Bericht auf Untersuchungen über die militärischen Karrieren von rechtsextremen Offizieren und Unteroffizieren, ebenso auf Fragen zu den Vorgesetztenreaktionen auf rassistisch bzw. rechtsextremistisch inspirierte Vorkommnisse [Aufschlussreich Eintrag Solothurn, 26. Mai 1998] und erwähnt auch die bekannt gewordenen Fälle rechtsextremer Offiziere und Unteroffiziere nicht. Kein Wort beispielsweise über Jürg van Wijnkoop, bis Ende 1996 Oberauditor der Schweizer Armee, der im Vorwort zu Vincenz Oertles apologetischem Buch über die Schweizer in der Waffen-SS schrieb, «dass die Waffen-SS zwar nicht zu Unrecht in Nürnberg verurteilt wurde, aber doch nicht hinsichtlich der Gesamtheit ihrer Angehörigen über den gleichen Leisten geschlagen werden kann». [Vincenz Oertle, «Sollte ich aus Russland nicht zurückkehren …». Schweizer Freiwillige an deutscher Seite 1939-1945. Eine Quellensuche. Zürich 1997, S. 11. Zur Person des Autors Vincenz Oertle siehe auch Jürg Frischknecht, Brauner Sympathisant als Weisswäscher, WochenZeitung, 3. Dezember 1998] Im Klartext: Die Waffen-SS ist zwar als verbrecherisch verurteilt worden, aber ihr gehörten auch brave und rechtschaffene Männer an.

Wohin die langdauerende Drangsalierung führen kann, beweist ein Prozess in Zürich. Ein Jenischer, seit Jahren von Jugendlichen und Kinder provoziert, belästigt und gehänselt, greift nach einem weiteren Angriff zum Gewehr und tötet einen Jugendlichen.

Antisemitismus

Nachdem im Sommer 1998 die Schweizer Banken in die «Globallösung» einwilligten, haben die antisemitischen Äusserungen und Anspielungen in der Öffentlichkeit abgenommen. Antisemitismus bleibt jedoch weiterhin fester ideologischer Bestandteil aller rechtsextremistischen Publikationen.

Eifrigster Antisemit bleibt Erwin Kessler, Präsident und Lohnabhängiger des Vereins gegen Tierfabriken (VgT). Er betreibt seine Kritik am Schächten weiterhin mit fanatisierten Ausfällen und sich bedient dabei verbreiteter antisemitischen Vorstellungen von angeblichen «Sonderrechten» für Juden und vom versteckten geheimen Einfluss. Der Verein, der gemäss eigenen Angaben rund 10’000 Mitglieder haben soll, behauptet, sein Vereinsblatt «VgT-Nachrichten» in einer Auflage bis zu 200’000 Exemplaren zu verbreiten. In der ersten Jahreshälfte 1999 dehnte Kessler seine Tätigkeit auch nach Deutschland aus, nachdem er bereits vor Jahren einen VgT Österreich mitbegründen half. Zwei Monate später stelle der VgT Deutschland wieder ein, nachdem der Präsident der deutschen VgT-Sektion sich gegen Kesslers antisemtische Tiraden ausgesprochen hatte.

Einbürgerungsverweigerungen

Nochmals zugenommen haben die Einbürgerungsverweigerungen. Insbesondere Menschen aus der Türkei und den verschiedenen Staaten des ehemaligen Jugoslawien müssen erleben, dass ihnen die Teilhabe am politischen Leben verweigert wird und ihnen damit weitere soziale Sicherheiten vorenthalten werden. Nicht nur dass die Schweiz die strengsten Kriterien (Aufenthaltsdauer mindestens 12 Jahre) für die Erlangung der Staatsbürgerschaft besitzt und unterschiedliche kantonalen Bestimmungen hat [Georg Kreis/Patrick Kury, Die schweizerischen Einbürgerungsnormen im Wandel der Zeiten, Bern 1996. Über die unterschiedlichen kantonalen Regelungen siehe die Broschüre «Die Einbürgerung der Ausländer in der Schweiz», herausgegeben vom Schweizerischen Gemeindeverband, Schönbühl BE. Eine (teils anekdotische) historische Darstellung der Einbürgerungspraxis in der Stadt Zürich bietet Christian Dütschler, Das Kreuz mit dem Pass. Die Protokolle der ‚Schweizermacher‘, Zürich 1998], in der Anwendung – ausser beim Spezialfall der erleichterten Einbürgerung – verfügen die Einbürgerungswilligen in den meisten Kantonen über keinen Rechtsanspruch. Sie sind der Willkür der Behörden (häufig werden Antragssteller aufgefordert, ihre Gesuch zurückzuziehen) und der demokratisch legitimierter Willkür von Gemeideversammlungen bzw. Volksabstimmungen ausgeliefert. Die Zahl der Einbürgerungen hat zwar seit 1990 zugenommen, doch der Anteil der einbürgerten Menschen ist im Verhältnis zur Zahl der Einbürgerungsberechtigten immer noch sehr gering. Fast 600’000 der 1,4 Millionen in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer könnten das Schweizer Bürgerrecht erwerben, jedoch sind 1998 nur 21’705 Personen aus 146 Staaten eingebürgert worden. [Siehe beispielsweise NZZ und Der Bund, 6. März 1999] Nur knapp ein Drittel dieser Eingebürgerten musste keine Willkür befürchten, da sie gemäss den Vorschriften der Erleichterten Einbürgerung einen Rechtsanspruch besassen.

Die Häufung der erfassten Einbürgerungsverweigerungen in den Kantonen Schwyz, Aargau, St. Gallen und Luzern, ist eine Folge der kantonalen Verfahren, welche Volksabstimmungen oder Gemeindeversammlungen vorsieht. (Im Kanton St. Gallen diskutiert man zur Zeit – im Rahmen der Revision der Kantonsverfassung – die Änderung des Einbürgerungsverfahrens.)

Seit Jahren machen die fremdenfeindlichen Parteien, insbesondere die Schweizer Demokraten und die SVP, politische Kampagnen gegen die Einbürgerungen. Exemplarisch die Auseinandersetzungen in der Luzerner Vorortsgemeinde Emmen (mit über 20’000 Einwohnern die 18. grösste Gemeinde der Schweiz). Mitte Juni 1999 stimmte die Mehrheit der Stimmenden für die obligatorische Urnenwahl bei der Einbürgerungen von Ausländerinnen und Ausländern und folgten damit einer Initiative der Schweizer Demokraten. Die SD-Ortsgruppe offenbarte im Abstimmungskampf die diskriminierende Stossrichtung ihres Vorstosses: «Es gibt aber Religionen, die andere Wertvorstellungen als die christlichen haben. Eines der wichtigsten Einbürgerungskriterien ist das Annehmen unserer Gebräuche und Gesetze. Damit aber werden einige Leute aus anderen Religionsgemeinschaften ihre liebe Mühe haben, da sie ganz andere religiös-politische Überzeugungen vertreten müssen. Es ist ihnen gar nicht möglich, unsere Gesetze und Gebräuche zu übernehmen. Deshalb würden diese Leute auch die geforderten Kriterien zur Einbürgerung nicht erfüllen.» [Zitiert in luzern heute, 17. Juni 1999] Im Klartext: Nur Angehörige christlicher Konfessionen können Schweizer oder Schweizerinnen sein.

Auch die Stadtzürcher SVP fordert in ihrem «Konzept für eine Zürcher Ausländerpolitik» eine Erschwerung der Einbürgerung und kritisiert gleichzeitig in Kampagnen immer wieder grossen Anteil von Ausländerinnen und Ausländer in der Stadt. Selbstverständlich wehren sich die Wortführer des diskriminierenden Ausschlusses gehässig, wenn man die fremdenfeindliche Motivation von Einbürgerungsverweigerung benennt. Bereits der französische Rassismusforscher Albert Memmi schrieb allerdings: «So gut wie niemand möchte als Rassist gelten, und dennoch behauptet sich das rassistische Denken und Handeln hartnäckig bis auf den heutigen Tag.» [Albert Memmi, Rassismus, Frankfurt am Main, 1987, S. 11] Ulrich Schlüer, der seine politische Karriere jahrzehntelang mit fremdenfeindlichen Kampagnen betrieb, heute SVP-Nationalrat und Redaktor des Rechtsaussen-Blattes «Schweizerzeit» ist, glaubte gar einen «Missbrauch des Antirassismusgesetzes» ausmachen zu können, weil die Chronologie «Rassistische Vorfälle in der Schweiz. Ausgabe 1998» für die erste Jahreshälfte 1998 dreizehn Einbürgerungsverweigerungen dokumentierte. [Amtliches Bulletin, Nationalrat, Sitzung vom 14. 12. 1998, Frage Schlüer, S. 2592f (98.5237). Siehe auch: Schweizerzeit, 22. 1. 1999, wo der Auszug aus dem Amtliche Bulletin unkommentiert abgedruckt wird, allerdings unter dem unzutreffenden Titel «Missbrauch des Antirassismusgesetzes»]

Fazit: Die Schweiz läuft Gefahr, zu einer Gesellschaft zu werden, in der einer bedeutenden Minderheit von Einwohnerinnen und Einwohnern die politische Mitbestimmung vorenthalten bleiben und diese sich mit geringeren sozialeren Sicherheit zufrieden geben müssen. Sie haben die Pflicht, Steuern wie auch Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen, sie haben aber kein Recht über ihre Verteilung mitzubestimmen. Immer noch können gemäss Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, 1931 entstanden und fremdenfeindlich motiviert) auch niedergelassene Ausländerinnen und Ausländern nach Bezug von Fürsorgegeldern des Landes verwiesen werden. [Das Bundesgericht hat diese Praxis noch vor wenigen Jahren gutgeheissen, BGE 119 Ib 6]

Politische Gesamteinschätzung

Am 18. April 1999 wurde in der Volksabstimmung die nachgeführte Bundesverfassung nur knapp angenommen. Nur VertreterInnen der extremen Rechte und verschiedener bürgerlichen Rechtsaussenorganisationen hatten – vielfach mit lügnerischen Unterstellungen – Kampagne gegen die Vorlage gemacht. Neben Emil Rahm («Prüfen+Handeln») und Ernst Indlekofer «Recht+Freiheit») engagierte sich auffallend stark der Dozwiler Hanspeter Tschannen und sein «Schweizer Bürger-Votum». Die knappe Annahme der revidierten Bundesverfassung ist – nach dem dreifachen Nein vom 12. Juni 1994 – ein weiterer Beleg für die politische Stärke der Blochers und Blockers, für jene politische Rechte also, die «das traditionelle Bündnis der drei bürgerlichen Regierungsparteien zu zerreissen droht». [Peter Niggli, Jürg Frischknecht, Rechte Seilschaften. Wie die ‚Unheimlichen Patrioten‘ den Zusammenbruch des Kommunismus meisterten, WoZ im Rotpunktverlag, Zürich 1998, S. 13. Das Buch bietet eine ausführliche Darstellung der Nationalistischen Rechten (SVP, Schweizerische Freiheitspartei, Schweizer Demokraten, AUNS, VPM etc.) wie auch der rechtsextremistischen Strukturen und Einzelpersonen, sowie deren ideologischen Vorstellungen] Diese Rechte «fühlt sich seit 1989 in Opposition zur ‚classe politique‘, dem hergebrachten Machtgefüge, an welchem sie teilhatte und –hat. Sie ist in der Lage, die politische Auseinandersetzung meinungsführend zu beeinflussen und grosse Teile der Bevölkerung zu mobilisieren.» Den ersten und folgenreichsten Sieg errang sie am 6. Dezember 1992 bei der EWR-Abstimmung, einen triumphalen Tag erlebte sie am 12. Juni 1994, als sowohl die UNO-Blaumhelme, die erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer (wenn auch nur wegen des fehlenden Ständemehrs) wie auch der Kulturartikel in der Volksabstimmung abgelehnt wurden.

Dieser nationalistischen Rechten gelang es nach 1989, so die zutreffende Analyse von Peter Niggli und Jürg Frischknecht, «auf drei Feldern die gesellschaftliche Auseinandersetzung zuzuspitzen und ideologisches Terrain bis weit in die Mitte und die Linke hinein zu gewinnen: in der Frage der Identität der Schweiz (EWR-Beitritt), im Kampf gegen die Einwanderungsgesellschaft und in der Politisierung der Drogensucht und der Kriminalität». [Niggli/Frischknecht, Rechte Seilschaften, S. 16] Diese Rechte kann sich auf «politische Traditionsbestände» abstützen, «die zuvor offiziellen Status genossen», sei es auf die nationalistische Sicht der Schweiz als ‚Sonderfall‘, sei es auf die jahrzehntelang bundesrätlich geförderte Überfremdungsideologie, sei auf die prohibitive Ablehnung illegalisierter Drogen. In der Drogenpolitik hat diese Rechte die politische Auseinandersetzung verloren [Die von diesen politischen Kräften eingereichte und unterstützte Volksinitiative «Schweiz ohne Drogen» wurde am 28. 9. 1997 mit über 70 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Ebenfalls nur rund 30 Prozent unterstützten am 13. Juni 1999 eine Referendum gegen die Fortführung staatlicher Heroinabgabe], weitgehend erfolgreich war sie hingegen bei der Asylpolitik.

In diesem Bereich hat die nationalistische Rechte seit über fünfzehn Jahren innerhalb der bürgerlichen Parteien die Meinungsführerschaft übernommen. Im Dezember 1997 wurde die SVP-Initiative in der Volksabstimmung zwar abgelehnt, doch nur wenige Monate später wurden verschiedene Hauptforderungen von der Mehrheit der eidgenössischen Parlamentariern ins revidierte Asylgesetz aufgenommen. Mitte Juni 1999 durch eine Referendumsabstimmung bestätigt.

Politische Parteien

Die Schweizerische Volkspartei (SVP), immer noch Bundesratspartei, konnte auch im vergangenen Jahr ihren Wähleranteil ausbauen. Die Partei, allen voran die Zürcher Kantonalpartei und ihre Exponenten, starteten verschiedene Kampagnen, welche sich in diskriminierender Weise gegen Asylbewerber oder gegen einzelne Nationalitäten wandten. Zwei nationale SVP-Vertreter fallen immer wieder auf durch ihre Agitation gegen Ausländer, insbesondere gegen Asylbewerber. Hans Fehr, heute Sekretär von Blochers AUNS, sowie Ulrich Schlüer, Herausgeber der «Schweizerzeit».

Immer noch Platz innerhalb der SVP hat auch der unbelehrbare Antisemit und Rimuss-Fabrikant Emil Rahm, seit Jahrzehnten Herausgeber der Postille «Memopress». 1998 gründete Rahm das neue Blättchen «Prüfen+Handeln», das die Schweiz als von Ratten angenagt darstellt und sich damit einer Bildersprache bedient, welche auch Frontisten und Nazis verwendeten. Rahm bietet weiterhin Bücher an, die antisemitische Verschwörungsphantasien verbreiten und teilweise auch den Holocaust (zumindestens) in Frage stellen. Rahm beteiligte sich auch mit grossen Aufwand an der Kampagne gegen die nachgeführte Bundesverfassung.

Der Erfolg der SVP geht einerseits auf Kosten der bürgerlichen Parteien (FDP und CVP), andererseits auf Kosten anderer Rechtsaussen-Partei. Besonders starke Wahlgewinne erzielte die SVP in den vergangenen Jahren in Innerschweizer Kantonen, wo die CVP bis vor kurzem die politische Dominanz besass. Die Innerschweizer SVP-Sektionen folgen der nationalistisch inspirierten Politik des Zürcher SVP.

Dem Verfall entgegen siecht die Schweizerische Freiheitspartei (FPS, vormals Autopartei), die vor rund zehn Jahren gegründet wurde, eine rüden Umgangston gegen Missliebige und gesellschaftlich Schwache (insbesondere Asylbewerber) pflegte. Verschiedene Opportunisten, darunter der ehemalige Parteipräsident Roland Borer, sind zur SVP übergetreten, andere FPS-Exponenten kündigten ihren Rücktritt vom politischen Leben an.

Die Schweizer Demokraten, politisch verantwortlich deren Parteipräsident, Nationalrat Rudolf Keller veröffentlichte im Juli 1998 einen Aufruf zum Boykott von «sämtlichen amerikanischen und jüdischen Waren, Restaurants und Ferienangeboten» auf. Nach einer Strafklage wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm mussten die eidgenössischen Räte über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Kellers entscheiden. Während der Nationalrat der Aufhebung zweimal zustimmte, verweigerte der Ständerat die Strafverfolgung. Zurück bleibt der unangenehme Verdacht, dass erstens Politikern – je nach politischem Kalkül – auch bei Strafprozessen von gesetzlichen Privilegien profitieren, und zweitens die Mehrheit der Ständeräte eine sehr restriktive Auslegung der Rassismus-Strafnorm propagieren.

Die Auseinandersetzungen um den Boykott-Aufruf Kellers machten deutlich, dass die Schweizer Demokraten – wie einst die Nationale Aktion – zwischen biedermännischen Fremdenfeindlichkeit und nazinahen Rassismus lavieren. Parteisekretär Bernhard Hess beispielsweise mehrmals, einmal braucht er den nazistischen Begriff «Umvolkung» [Das Bundesgericht bestätigte im August 1987, dass «die Äusserungen von NA-Politikern und Publikationen im Parteiorgan zum teil erschreckende Ähnlichkeiten zur nationalsozialitischen Lehren aufweisen würden». Auslöser des von der NA angestrengten und verlorenen Ehrverletzungsprozesses war die Aussage eines Berner Studenten: «Die Nationale Aktion (NA) mausert sich immer mehr von einer biedermännischen Fremdenfeindlichkeit zu einem nazihaften Rassismus.» Die Nationale Aktion änderte darauf ihren Namen in Schweizer Demokraten], ein anderes Mal fordert er, dass landessprachige und fremdsprachige Kinder in getrennten Klassen unterrichtet werden, de facto also eine Apartheid in der Schule eingerichtet wird. In der Parteizeitung «Schweizer Demokrat» behauptet Thurgauer SD-Parteipräsident Willy Schmidhauser, Dettighofen eine antisemitische Weltverschwörung und unterschiebt der Bundespräsidentin Ruth Dreifuss für «fremde Mächte» zu wirken. [Schweizer Demokrat 6/99 ] Und in der gleichen Parteiblatt-Ausgabe phantasiert Marie de Seinmers (Pseudonym von Mary Meissner, Genf) über den Balkankrieg, dieser sei von geheimen Mächten, etwa den Bilderbergern, den Illuminaten und anderen finsteren Mächten angezettelt worden. Die Genferin bedient sich auch wacker im traditionellen Fundus militanter Antisemiten, Karl Marx soll in Wirklichkeit einen jüdischen Namen gehabt haben, Freimauer sollen hinter den Kulissen die Fäden ziehen. [Schweizer Demokrat 6/99] Marie de Seinmers alias Mary Meissner publiziert auch in Amaudruz‘ «Courrier du continent» und personifiziert damit die chämeleonhafte Politik der Schweizer Demokraten, einmal bieder, ein anderes Mal angebräunt. Das Spiel über zwei rechte Flügel führt gelegentlich auch zu parteiinternen Auseinandersetzungen. Im Kanton Basel-Stadt verliessen fünf Kantonsparlamentarier die Partei und begründeten dies unter anderem wegen Kellers Boykott-Aufrufs: «Es ging uns in letzter Zeit immer darum, das Image vom braunen Kittel abzustreifen, das die SD wegen Leuten wie Borner und Rudolf Keller hat.» [Gemeint ist Markus Borner, Präsident SD Basel-Stadt]

In der politischen Bedeutunglosigkeit arbeitet die Union des patriotes suisses, die sich im vergangenen Jahr von den Schweizer Demokraten abgespaltet hat. In ihrem Parteiorgan «Le Pays Romand» wird die offensichtliche Anlehnung an Le Pens «Front National» deutlich.

Nie über ein Schattendasein herausgekommen ist die Katholische Volkspartei (KVP), präsidiert vom Amriswiler Dr. Lukas Brühwiler-Frésey. Die Partei fundamentalistischer Christen verbreitet unter anderem Antisemitismus durch Anspielungen. Sie behauptet in einer Stellungnahme beispielsweise, dass die Globallösung in der Frage der nachrichtenlosen Vermögen «einen Schlag der antichristlichen Kräfte gegen das christlich-abendländische Staatsverständnis» bedeute. Und weiter: «Mit dem jüngsten Deal ist also für die Zukunft gezeigt worden, wer das Sagen in dieser Welt haben soll. Die Schweizer Banken, im Verbund mit der Schweizer Regierung, haben gezeigt, wem sie in Zukunft gehorchen wollen, und beide sind sich darin mit der amerikanischen Regierung einig.» Wer aber hat angeblich das Sagen in der Welt? Einmal nennt die KVP sie «ausländische internationalistische Kreise», ein andermal «gottlose Kreise». Und «das humanitäre Argument» diene lediglich dazu, «die sündhaften, verbrecherischen Strukturen zu tarnen». Die antisemitischen Rezipienten werden die Botschaft verstehen. Das Flirten mit antisemitischen Ansichten ist bei der KVP kein Einzelfall. Zur Jahresversammlung der KVP Thurgau sprach Anfang Mai 1999 der Bieler Hans-Jürgen Klaussner, Präsident und Geschäftsführer der Werte-Erhaltungs-Genossenschaft (WEG), die geldlose Wirtschaftsordnung anstrebt. Klaussner, so Jürg Frischknecht und Peter Niggli in ihrem Buch «Rechte Seilschaften», ist durch sein eifriges Zitieren antisemitischer Verschwörungsphantasten und durch seinen Bezug auf die «Protokolle der Weisen von Zion» aufgefallen. Immerhin erfreulich: Die KVP-Wahlbeteiligungen endeten mit geringen Stimmenzahlen.

Auch mehrere rechtskatholische Periodika verbreiten antisemitische Vorstellungen, meist durch Anspielungen, da sie offensichtlich auf die jederzeit aktivierbaren antisemitischen Vorstellungen ihrer Klientel zählen können. Das Blättchen «EWIG», herausgegeben und redigiert vom Ehepaar Secchi-Piazza, Udligenswil, beispielsweise verbreitet die altbekannte Mär von der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung. [Jürg Frischknecht/Peter Niggli, Rechte Seilschaften, S] Auch das Heftchen «Philomena», herausgegeben und redigiert vom Berner Verschwörungphantasten Gerd J. Weisensee, lässt gelegentlich antisemitische Vorstellungen anklingen. Sowohl Wiesensee wie Secchi (unter dem Pseudonym Gian Ardent) gehören der Redaktion der Schweizerischen Katholischen Sonntagsblattes an, in dessen Seiten immer wieder KVP-Exponenten zu Wort kommen.

Weiterhin Muslimfeindschaft pflegt die Schrift «Bürger und Christ», herausgegeben und redigiert von Alexander Segert. Auch die Stadtzürcher SVP bedient sich in ihrem Papier «Konzept für eine Zürcher Ausländerpolitik» abwechselnd von Fundamentalismus und vom Islam zu schreiben, um dann zu behaupten: «Der Islam erweist sich mehr und mehr als eigentliches Integrationshemmnis».

Rechtsextreme Publikationen

Bald sechzig Jahre kämpft der Lausanner Gaston Armand Amaudruz (Jahrgang 1921) für eine faschistische und rassistische Schweiz in einem faschistischen und rassistischen Europa, über vierhundertmal hat er inzwischen sein hektographiertes Blättchen «Courrier du Continent» (Auflage wohl rund 500 Exemplare) produziert. Das Blatt besteht zum einem grossen Teil aus Presseausschnitten aus rechtsextremen Zeitschriften, doch vermittelt es auch eine Vielzahl von Adressen und Hinweisen und fördert damit die Vernetzung der rechtsextremen Szene. In seinen regelmässigen Kommentaren diffamiert Amaudruz immer wieder in rüden Worten die Rassismus-Strafnorm.

Die «Le Pamphlet», herausgeben vom Lausanner Ehepaar Paschoud und in kleiner Auflage erscheint, verbreitet weiterhin in bescheidener Auflage ihr Blättchen, das rassistische Unterstellungen verbreitet und den Holocaust andeutungsweise in Frage stellt. Im Alleingang veröffentlicht der Genfer Alfred Künzli sein deutschsprachiges Blättchen «Euronews», über dessen Auflage und Reichweite wenig bekannt ist. Eine grössere Verbreitung hat die Zeitschrift «Recht+Freiheit», redaktionell betreut vom einstigen Basler SVP-Mitglied Ernst Indlekofer. Offizieller Herausgeber der Zeitung, ein Sprachrohr zu Gunsten der Holocaust-Leugner, ist ein Presseclub Schweiz, über dessen Strukturen und Mitgliederstärke bis anhin nur wenig bekannt geworden ist. Im Mai 1999 erschien erstmals auch eine französischsprachige Ausgabe.

Rechtsextreme Strukturen

Abgeschottet von der Öffentlichkeit finden die Treffen der völkisch-heidnische Gemeinschaft Avalon statt. Dabei treffen sich Alt- und Neonazis, Holocaust-Leugner und Skinheads, zu Diskussionen und Vorträgen, aber auch zu Winter- und Sonnenwendfeiern. Die bekanntesten Avalon-Vertreter sind der Worblaufener Roger Wüthrich, einst Mitbegründer der neonazistischen Wiking Jugend Schweiz, und der einstige Journalist Ahmed Huber, der bereits vor Jahrzehnten zum Islam konvertierte und sich heute als (fundamentalistischer) Islamist versteht.

Nahezu klandestin arbeitet auch die Nationale Initiative Schweiz (NIS), die 1995 gegründet wurde. Gemäss Parteistatuten will die NIS an Wahlen teilnehmen, doch scheut die Kleinstpartei die Öffentlichkeit.

Holocaust-Leugner

Die Schar der öffentlich auftretenden Holocaust-Leugner ist klein, ihre Resonanz ist gering geblieben. Nach dem Tod des Verlagsbesitzers Gerhard Förster stellte der Verlag Neue Visionen GmbH seine Tätigkeit ein. Der Verlag hatte ausschliesslich holocaust-leugnende bzw. antisemitische Bücher, insbesondere auch die Ergüsse von Jürgen Graf veröffentlicht.

Alle vier Gründungsmitglieder der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Zeitgeschichte (AEZ) traten in den vergangenen zwölf Monaten an die Öffentlichkeit. Vom AEZ-Organ «Aurora», für das weiterhin Arthur Vogt verantwortlich zeichnet, erschien im Frühjahr 1999 nach über einjähriger Pause wieder einmal eine Nummer. Das bedeutendste Ereignis für die Szene der Schweizer Holocaust-Leugner wie auch deren rechtsextremen Sympathisanten war jedoch die Verurteilung ihres umtriebigsten Schreibers Jürgen Graf zu einer unbedingten Gefängnisstrafe. Graf hat seine Bemühungen nichtsdestotrotz weitergeführt. Im August 1998 referierte er, kurz nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung, an einem Kongress der Holocaust-Leugner in Australien, Ende November 1998 sprach Graf in Dänemark. Auch veröffentlichte er mehrere Aufsätze und ein neues Buch.

Kurz vor seinem Prozess (Anklage: Leugnung des Holocaust) ist Andres J. Studer der Schweiz entflohen. Kurz vor seiner Abreise hatte er noch ein «Rundschreiben Betrifft Solidaritäts-Beitrag» verschickt, in dem er die Rassismus-Strafnorm als «Anti-Schweizer-Gesetz zionistisch-neobolschewistischer Prägung» bezeichnet. [Siehe Eintrag Walzenhausen AR, Ende Oktober 1998] Wieder an die Öffentlichkeit getreten ist Bernhard Schaub, der Mitte Juni 1999 in München über «Das Neue Europa aus Schweizer Sicht» referierte. [Siehe Eintrag München, 15. Juni 1999. Siehe auch Jüdische Rundschau 24. Juni 1999 oder WochenZeitung 24. Juni 1999] Der eloquente Holocaust-Leugner liess sich als Lehrer auf dem Gebiet der Erwachsenenpädagogik vorstellen. Schaub, einst Lehrer an einer anthroposophischen Schule, postuliert ein Europa, ausgehend von den Vorstellungen der Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, vermischt mit Absage an die Französische Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) und mit rassistischen und nazihaften Vorstellungen von einem «homogenen Volkskörper».

Mitte Januar gründeten in Bern verschiedene Schweizer Holocaust-Leugner einen Verein «Vérité et Justice/Wahrheit und Recht», welcher die «Zentralisierung von Informationen» bezüglich der Rassismus-Strafnorm bezweckt, wie auch die Unterstützung bei einschlägigen Strafverfahren. Weiter will der Verein Volksinitiativen unterstützen, welche die Abschaffung der Rassismus-Strafnorm anstreben. Präsident des Vereins ist Jürgen Graf, als Sekretär amtet René-Louis Berclaz. [WochenZeitung wie auch Jüdische Rundschau, 20. Mai 1999] Als Vizepräsident zeichnet Philippe Brennenstuhl, der zusammen mit dem Genfer Anwalt Patrick Richard im Februar 1998 auch eine «Fondation Aequitas» gründete, deren Stiftungszweck die Förderung einer freien historischen Forschung sein soll, ebenso die Unterstützung von einschlägig verfolgten Personen. Im Klartext: die Unterstützung von Holocaust-Leugnern. Über bisherige Aktivitäten der Stiftung ist nichts bekannt geworden.

Skinheads

Die Strukturen der rechtsextremistischen Skinhead-Szene habe sich weiter verfestigt, auch ist die Zahl der Skins weiter angestiegen. An vielen Orten, meist in Dörfern oder Kleinstädten, bestehen (meist informelle ) Gruppen, deren Mitglieder einerseits durch Gewalttaten gegen missliebige Altersgenossen, andererseits durch einschlägige Kennzeichen (Keltenkreuz, nazistische Symbole) auffallen. Ein Teil der Mitglieder solcher Skinhead-Gruppen verkehrt jeweils auch in den nationalen und internationalen Zusammenhängen. (Die grosse Mobilität war und ist eine Konstante des ‚Skinhead Way of Life‘). Bei ihren Veranstaltungen vermeiden Skinheads die Öffentlichkeit, ihre Treffen finden meist an abgelegenen Orten statt und die Organisatoren bemühen sich um Geheimhaltung von Veranstaltungsorten.

In der ersten Jahreshälfte 1998 organisierten Westschweizer Hammerskinheads mehrere Nazi-Rock-Konzerte, welche Besucher aus mehreren Ländern Europas [Siehe Einträge: Chézard-St-Martin, 7. März 1998, Concise VD, 11. April 1998, L’Abergement VD, 18. Mai 1998] anzogen. Kantonale Polizeistellen waren von den geplanten Konzerten unterrichtet, waren aber vorerst nicht gewillt, die Veranstaltungen zu unterbinden. [Erst die öffentliche Empörung über die Nachsicht, die auch im kantonalen Parlament vorgetragen wurde, bewog die Neuenburger Regierung zur Ankündigung, weitere Skinhead-Konzerte in Zukunft verhindern zu wollen] Nur langsam reagierten die Waadtländer Behörden, als Ende August 1998 die «SonntagsZeitung» [SonntagsZeitung, 24. August 1998, S. 2] die Pläne für ein grosses Memorial-Konzert bekannt machte. Wochen später, nach weiteren Medienberichten und politischen Interventionen verfügte die Waadtländer Staatsregierung ein Verbot, nachdem der Polizeidirektor noch am Vortag mit Verweis auf die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit sich gegen ein Verbot ausgesprochen hatte. [Siehe Eintrag La Sarraz VD, 19. September 1998] Ein weiteres Konzertverbot bewog die Rechtsextremen Ende November 1998 gar zu einer kleinen Demonstration. Nur von wenigen Passanten beobachtet zogen rund 70 Rechtsextreme in einem Fackelzug durch das Städtchen Murten. [Siehe Eintrag Murten, 28. November 1998]

Mindestens zwei Schweizer Skin-Musikgruppen verbreiten ihre ausländerfeindliche Botschaft mit Musik. Die Ostschweizer Nazirock-Gruppe «Erbarmunglos» will mit ihren Texten, unter anderem gegen die «zerstörerische sowie sinnlose Massenüberfremdung unserer europäischen Vaterländer» [Franken’s Widerstand, Heft 4, S. 47ff] kämpfen. Die Basler Gruppe «Sturmtruppen» veröffentlichte im Frühjahr 1999 bereits ihren dritten Tonträger.

In der deutschen Schweiz erscheint das Zine «Morgenrot», das von einem Thurgauer Skinhead (von Beruf Polygraf) produziert wird und äusserlich durch seine professionelle Qualität auffällt. Soweit bekannt produzierten die Hammerskins seit über einen Jahr keine Nummer mehr von «Hammer. Patriotische Zeitschrift der Schweizer Hammerskins». Seit Herbst 1998 sind in der französischsprachigen Schweiz mindestens vier Nummern der neuen Skin-Zeitschrift «Race et Nation» erschienen, das durch seine besondere Nähe zum neonazistischen Heidentum und zum esoterischen Hitlerismus auffällt. «Race et Nation» berichtete auch von Richtungskämpfen innerhalb der Hammerskins-Bewegung, wobei das Westschweizer Heft für militante und politisierte Skinheads einsteht. [WochenZeitung, 11. März 1999] Den militanten Ansprüchen der Heftmacher genügen nur wenige Hammerskin-Sektionen, unter ihnen aber auch die Deutschschweizer Sektion.

Klar jedoch ist, dass die Schweizer Hammerskins sich weiterhin als Elite der rechtsextremistischen Skinheads verstehen. Mit dem Nationalen Infotelefon, betrieben von Reinhard Fischer, verfügen sie auch über ein Informationsmedium, mit dem auch kurzfristig zu Parties und Konzerten und politischen Aktionen mobilisieren können. Die meisten Ansagen betreffen jedoch bierselige Treffen.

Im Herbst 1998, rund drei Jahre nach der Tat, fand auch der Hammerskin-Angriff auf eine antifaschistische Musikveranstaltung in Hochdorf/Kanton Luzern [Siehe Eintrag Hochdorf LU, 4. November 1995] endlich seinen strafrechtlichen Abschluss. Die unbedingten Haftstrafen gegen zwei Hammerskins, darunter auch den Organisator des Überfalls, wurden rechtskräftig. Nachdem die beiden Verurteilten vor Gericht immer wieder ihre angebliche Distanzierung von den gewaltbereiten Strukturen beteuert hatten, wurden sie sofort nach Haftantritt über das Nationale Infotelefon als «politische Gefangene» gerühmt. Das Nationale Infotelefon rief mehrere Male zur Teilnahme an Veranstaltungen auf, um den Gefangenen, die sich im Hafturlaub befanden, die Solidarität zu bekunden.

Monatelang hatte der Neuenburger Versand «Mjölnir-Diffusion», betrieben vom Neuenburger Hammerskin Oliver Kunz und seiner polnischen Partnerin Karolina (Nachname noch unbekannt), über professionell gestaltete Werbemittel eine grosse Zahl von Heften, Tonträgern und auch selber produzierte Konzertvideos angeboten, bis Anfang März 1999 die Neuenburger Kantonspolizei nach einer Durchsuchung die Materialien beschlagnahmte. Als Anwalt vertritt weiterhin der Genfer Pascal Junod die Anliegen des Neuenburger Skinheads. Der 40jährige Anwalt ist seit Jahren als Galionsfigur verschiedener Grüppchen der rechtsextremistischen und intellektuellen Nouvelle Droite aufgetreten, die in der welschen Schweiz bestehen. Im November 1998 organisierte beispielsweise «Synergies Européens Suisse», eine Intellektuellen-Organisation der extremen Rechten, zusammen mit der Editions de l’Age d’Homme und zwei Buchläden, in Räumen der Universität eine Veranstaltung zum 100. Geburtstag des faschistischen Philosophen Julius Evola. [Eintrag Genf, 14. November 1998] Im Februar 1999 organisiert der Cercle Proudhon eine Veranstaltung mit einem ehemaligen Exponenten des zerstrittenen französischen Front National. [Eintrag Chêne-Bourg GE, 12. Februar 1999]

Im Frühsommer 1999 mehren sich die Anzeichen, dass die Schweizer Skinheads daran sind, eigene Internet-Seiten anzubieten. Zwei allenfalls drei Internet-Auftritte stammen offenbar von Deutschschweizer Glatzen.

Auch in der Hooligans-Szene (Fussball und Eishockey) treten vermehrt Rechtsextreme auf. [Hans Stutz, Rassisten toben sich in den Stadien aus, Luzern heute, 6. Mai 1999] In den Stadien werden häufig antisemitische Parolen skandiert, gelegentlich auch Slogans organisierter Rechtsextremer (beispielsweise «Hier marschiert der nationale Widerstand»). Die Schweizer Hooligans verfügen über mehrere einschlägige Internet-Seiten, insbesondere auf ihren Gästebuch-Seiten wird die rassistische Gesinnung vieler Hooligans offensichtlich. Hooligans haben auch mehrmals zu Angriffen gegen Linke aufgerufen. Am 1. August 1998 gleich zweimal, um angekündigte oder befürchtete linke Kundgebungen gegen den SVP-Millionär Christoph Blocher zu bekämpfen. [Siehe Eintragungen Egerkingen SO, 1. August 1998 und Richterswil ZH, 1. August 1998]

Rechtsextreme und Holocaust-Leugnung auf Internet

Mit grossem publizistischen Getöse propagierte die Schweizer Bundespolizei im Sommer 1998 den Kampf gegen Internet geschehen ist in der Folge wenig. Die Bundespolizei empfahl die Sperrung von rund einem Dutzend einschlägig bekannter Internet-Seiten. (Sperrungen, die mit geringen Aufwand umgangen werden können.) Die bundespolizeilichen Ankündigungen dienten auch dem aussenpolitischen Zweck, die USA und ihren permissiven Umgang mit rassistischen und holocaust-leugnenden Angeboten diplomatisch anzuprangern. Zwei Schweizer Anbieter von antisemitischen Internet-Seiten blieben und bleiben unbehelligt: Ernst Indlekofer, inzwischen zweitinstanzlich wegen Holocaust-Leugnung verurteilt, verbreitet die von ihm redigierte Zeitschrift «Recht+Freiheit» weiterhin auch über Internet. Besonders eifrig nutzt Erwin Kesslers Verein gegen Tierfabriken (VgT) das Medium Internet, im fast täglich erneuerten Angebot verbreitet Kessler immer wieder antisemitische Tiraden, Beschimpfungen und Verschwörungsphantasien. Von einem englischen Holocaust-Leugner (Antony Hancock) und über einen US-Provider eingespiesen wird seit März 1998 die «Wilhelm Tell»-Homepage, die Internet-Seite der Schweizer Holocaust-Leugner, auf der vor allem der umtriebige Jürgen Graf seine Texte veröffentlicht.

Fazit: In grossen Teilen der Schweizer Gesellschaft haben sich nationalistische Deutungsmuster für gesellschaftliche und soziale Probleme aller Art mindestens ansatzweise durchgesetzt. Dazu haben sich in einem kleinen Teil der Gesellschaft Strukturen einer rechtsextremen Subkultur (Holocaust-Leugner, Skinheads und teilweise Hooligans), herausgebildet. Ein Teil dieser Männer lässt bei entsprechender Gelegenheit den diskriminierenden Worten auch Taten folgen. Im Sommer 1999 mehren sich die Anzeichen, dass in naher Zukunft Unterkünfte von AsylbewerberInnen wieder vermehrt Zielscheibe von Angriffen werden.