Einschätzung der Situation 1998

Zürich, 31. Dezember 1998

Die Schweiz und ihr Rassismus und die rechtsextremen Organisationen

Mit der Ratifizierung der UNO-Rassismus-Konvention verpflichtete sich die Schweiz, regelmässig einen Bericht «über die zur Umsetzung (des) Übereinkommens getroffenen Gesetzgebungs-, Gerichts-, Verwaltungs- und sonstigen Massnahmen» vorzulegen . Den Ersten Bericht verabschiedete der Bundesrat im Dezember 1996. Er unterliess es, einen Überblick über die rassistischen und xenophoben Tendenzen innerhalb der Schweizer Gesellschaft zu geben. Auch verzichtete die Schweizer Regierung darauf, einen kritischen Blick auf die staatlichen Diskriminierungen von Ausländerinnen und Ausländern wie auch der «Jenischen» zu werfen . Im Gegenteil: Der Bundesrat führte den seit Jahrzehnten gepflegten «Überfremdungs-Diskurs» weiter und brachte es fertig, bei der Erörterung der Ausländerpolitik einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Ausländer und Ausländerinnen und dem Rassismus in der Schweizer Gesellschaft zu schaffen, in dem er schrieb: «Diese Politik hat ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung zum Ziel, um bis zu einem bestimmten Grad das Zutagetreten von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verhindern zu können.»

Anfang März 1998 diskutierte die UNO-Kommission zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung den Bericht. In ihren Schlussfolgerungen begrüsst die Kommission die Schaffung der Rassendiskriminierungs-Strafnorm (Art. 261bis StGB), kritisiert aber den Mangel an umfassenden Gesetzen zur Bekämpfung von Diskriminierung, die sich auf Rasse, Farbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft beziehen . Eine solche Gesetzgebung sollte, so die UNO-Kommission, Massnahmen beinhalten, die rassistische Diskriminierungen im Arbeits- und im Wohnbereich und allgemeine Diskriminierungen zwischen Menschen, Gruppen oder Organisationen bekämpfen. Kritisiert wird aber auch Art. 261bis StGB, da er der UNO-Antirassismus-Konvention nicht genügt, weil er nicht alle «Organisationen und alle organisierten und sonstigen Propagandatätigkeiten, welche die Rassendiskriminierung fördern und dazu aufreizen» verbietet . Eine Kritik, die bereits Marcel Alexander Niggli in seinem juristischen Kommentar vorgetragen hatte . Die Frage bleibt allerdings offen, ob ein solches Verbot allenfalls nicht kontraproduktiv ist.

Wieder einmal kritisierte ein internationales Gremium auch die Schweizerische Einwanderungspolitik, besonders das Drei-Kreise-Modell, das AusländerInnen auf Grund ihrer nationalen Herkunft einstuft. Die UNO-Kommission hielt sowohl die Konzeption wie auch die Auswirkungen dieser Politik für erniedrigend und diskriminierend, da sie den Grundsätzen und Bestimmungen der UNO-Antirassismus-Konvention widersprechen. Die Kommission zeigte sich auch besorgt über den oftmals gewalttätigen Umgang von Schweizer Polizeikräften mit Personen fremder nationaler oder ethnischer Herkunft. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz. Die Empfehlungen der internationalen Gremien bewirkten aber bis anhin keine zusätzlichen politischen Anstrengungen.

Lebenswirklichkeit ist, dass viele AusländerInnen wie auch Schweizer nichtweisser Hautfarbe oder nichtchristlicher Religion im Verkehr mit staatlichen Stellen Diskriminierungen erfahren. Die Association contre le racisme (ACOR), die in der welschen Schweiz eine Anlaufstelle für Rassismus-Opfer unterhält, schrieb bereits in ihrem Jahresbericht 1995/1996: «Die Anrufenden beklagten sich in einem Drittel der Fälle über rassistische Bemerkungen oder Handlungen, die sich im Verkehr mit den Behörden (Administration) oder im Kontakt mit Polizisten oder Zöllnern ereigneten.»

Mutmasslich werden aber diskriminierende Entscheidungen und Praktiken von grösseren Teilen der Bevölkerung nicht oder kaum kritisiert. Eine im Frühjahr 1997 durchgeführte Untersuchung kommt zum Ergebnis: «Die Präsenz von AusländerInnen aus Italien, Spanien und Portugal – den traditionellen schweizerischen Rekrutierungsgebieten für ‘FremdarbeiterInnen’ – ist ebenso unbestritten wie die Anwesenheit von AusländerInnen aus den Nachbarstaaten Frankreich, Deutschland und Österreich. Die Präsenz von AusländerInnen aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien hingegen wird von der Bevölkerung mehrheitlich negativ wahrgenommen: AusländerInnen aus der Türkei sind für 28% der Befragten ‘in der Schweiz eigentlich fehl am Platz’, AusländerInnen aus Bosnien und Serbien für über 40%. – Der EU-Raum wird somit kulturell homogen positiv wahrgenommen und zugleich stark gegen den ‘Rest der Welt’ abgegrenzt, besonders stark gegen die Arbeits- und Asylimmigration aus Ex-Jugoslawien. Die bundesbehördliche Einteilung der Welt in ‘drei Kreise’ – speziell die Zuordnung von Ex-Jugoslawien zum Arbeitsimmigration nur noch in Ausnahmefällen erlaubenden dritten Kreis – ist also in der Bevölkerung breit abgestützt; im Zeitvergleich nimmt die Unterstützung sogar noch zu: 1994 sind 34% der Befragten der Ansicht, AusländerInnen aus Serbien seien ‘in der Schweiz eigentlich fehl am Platz’, 1997 43% (+9%).»

Die Ablehnung erfahren insbesondere Menschen, die einen Schweizer Pass erwerben wollen. Seit Mitte 90er-Jahre werden Einbürgerungsgesuche von EinwohnerInnen jugoslawischer und türkischer Herkunft bei Gemeindeversammlungen, aber auch an der Urne häufig abgelehnt. Über diese menschenrechtswidrigen, jedoch demokratisch legitimierten Verweigerungen der politischen Rechte bestehen keine gesicherten statistischen Angaben. (Die vorliegende Chronologie dokumentiert mehrere Abweisungen seit 1995 und ist alles andere als vollständig.)

Nationalistische Parteien und Organisationen

Die Auseinandersetzung um die Weltkrieg-Vergangenheit der Schweiz (Flüchtlingspolitik, nachrichtenlose Vermögen, Raubgold) haben Antisemitismus vermehrt gesellschaftsfähig gemacht. Verschiedene rechtsbürgerliche ExponentInnen, Zeitschriften und Organisationen, aber auch Parteien, liessen sich mit antisemitischen Anspielungen, gelegentlich auch mit antisemitischen Parolen vernehmen. In diesem Dunstkreis bewegt sich beispielsweise der Multimillionär Christoph Blocher (SVP) und seine isolationistische Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS). Auch weitere Exponenten der Bundesratspartei SVP gefielen sich in Anspielungen an antisemitische Vorurteile. Die Kantonalzürcher SVP schrieb in einem Inserat vom «goldenen Internationalismus», ein Begriff, der aus der Nazi-Terminologie stammt. Die Stadtzürcher SVP veröffentlichte mehrere Inserate, die an jenen Slogan erinnerten, der seit Jahrzehnten von Rechtsextremen verwendet wird: «Die Schweiz den Schweizern».

Der SVP-Wahlerfolge der vergangenen Jahre gehen auch auf Kosten der kleinen Rechtsaussenparteien (Schweizerische Freiheitspartei, Schweizer Demokraten). Beunruhigend ist, dass nationalistische Positionen und diskriminierende Forderungen, die vor Jahren den traditionellen Rechtsaussenparteien vorbehalten waren, heute von einer Regierungspartei vertreten werden und dass deren Regierungsbeteiligung nicht zur politischen Diskussion steht.

Die Schweizer Demokraten, seit Jahren von politischer Schwindsucht ergriffen, haben immer wieder Exponenten unter ihren Mitgliedern, die unverblümt Fragmente brauner Ideologie vertreten. Exemplarisch der Fall von Martin Frischknecht, Musiker, antisemitischer Verschwörungsphantast und vieles mehr: Zuerst konnte man beim Zentralsekretariat der Schweizer Demokraten Frischknechts rassistischen Tonträger bestellen, nach Medienberichten stoppte die Partei zuerst den Versand, später distanzierte sie sich von Frischknecht. Weniger wegen des Inhaltes, sondern wegen des öffentlichen Aufsehens: «Parteiintern stossen uns nicht die rassistischen Äusserungen auf, sondern der Wirbel, der darum gemacht wird», erklärte der SD-Pressechef Fritz Stalder gegenüber der Tageszeitung «Der Bund». Einige Wochen später trat Frischknecht aus der Partei aus und kam damit einem Ausschluss zuvor. Der Berner Kantonalpräsident bedauerte jedoch den Austritt.

Geschwächt wurden die Schweizer Demokraten in der französischsprachigen Schweiz. Im Frühling spaltete sich eine «Union des patriotes suisses» ab, die in «Le Pays Romand» ein eigenes Sprachrohr verfügt. Die Neugründung, welche die Beteiligung an den Eidgenössischen Wahlen von 1999 plant, orientiert sich an der Politik des französischen Front National.

Auch die Freiheitspartei, vormals Autopartei, leidet unter Schwindsucht. Ihre wenigen verbliebenen nationalen Exponenten übertreffen in Sachen rüder Sprache vielfach die Schweizer Demokraten, sie stehen ein für einen unsozialen und wenig ökologischen Kapitalismus und hetzen gegen Linke und AsylbewerberInnen, die dauernd als «Asylschmarotzer», «Asylbetrüger» diskreditiert werden. Gelegentlich verteidigen Mitglieder der Freiheitspartei auch faschistische Diktaturen, beispielsweise jene des chilenischen Generals Augusto Pinochet.

Die Lega dei Ticinesi, insbesondere ihr Präsident Guiliano Bignasca, verbindet im Tessin rüde Oppositionspolitik mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Anwürfen. Im Frühsommer 1998 begann Bignasca in seiner Sonntagszeitung «Mattino della Domenica» eine antisemitische Kampagne und verwendete in mehreren Artikeln einschlägige Materialien aus rechtsextremen Zusammenhängen.

Gezielte Muslimfeindschaft verbreiten mehrere rechtskatholische Blättchen. In mehreren Nummern warnt beispielsweise «Bürger und Christ», herausgegeben von Alexander Segert, vor «der schleichenden Infiltration des christlichen Abendlandes durch den Islam».

Rechtsextreme Organisationen und Einzelpersonen

Die kleine Schar der bekannten Holocaust-LeugnerInnen ist im vergangenen Jahr nicht gewachsen, zugenommen haben jedoch ihre Aktivitäten. Zwar ist in den vergangenen Monaten nur eine Nummer von «Aurora», dem Organ der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Zeitgeschichte (AEZ) erschienen, doch seit Frühjahr 1998 verfügen die Schweizer Holocaust-Leugner über eine Internet-Homepage, auf der sie – versteckt hinter Pseudonymen – ihre Lügen verbreiten. Und im Frühsommer 1998 veröffentlichten sie (offizieller Herausgeber Presseclub Schweiz) eine Broschüre «Abschied vom Rechtsstaat. Das ‘Antirassismusgesetz’ als Instrument zur Errichtung einer totalitären Diktatur in der Schweiz».

Der Verlag Neue Visionen in Würenlos AG, geführt vom ehemaligen Wehrmachtsangehörigen Gerhard Förster, produziert weiterhin einschlägige Neuerscheinungen und liefert weiterhin holocaust-leugnende Bücher aus, obwohl bereits drei Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden und ein Strafverfahren seit Herbst 1995 im Gange ist. Erst nach Beginn der Strafuntersuchungen erschienen ist «Der Babylonische Talmud» von Erich Glagau, eine antisemitisch inspirierte Zusammenstellung von Talmud-Stellen. Der deutsche Rechtsextremist versucht sich Respektabilität durch Berufung auf den ungarischen Baron Luzsenszky zu verschaffen . Gerade dieser Verweis entlarvt jedoch die Kontinuität. Luzsenkszky war in den 30-er und 40-er Jahren einer der meistgelesenen antisemitischen Hetzer Ungarns, mit Ausstrahlung auf weitere europäische Länder. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt . Mit entsprechenden Zitaten reichte auch Erwin Kessler, Lohnabhängiger und Präsident des Vereins gegen Tierfabriken, eine Rassismus-Strafanzeige gegen den Babylonischen Talmud ein und verlangte die Beschlagnahmung in allen schweizerischen Bibliotheken und Buchhandlungen. Kessler inzwischen zweitinstanzlich wegen Widerhandlung gegen die Antirassismus-Strafnorm verurteilt, führt seine Kampagne gegen das Schächten weiterhin mit antisemitischen Ausfällen. Gelegentlich lobt Kessler auch rechtsextreme Autoren wie Jürgen Graf.

Der umtriebige Basler Jürgen Graf, der einzige Schweizer Holocaust-Leugner mit internationaler Ausstrahlung, veröffentlichte im Frühjahr 1998 erneut ein Buch, das er zusammen mit einem italienischen Holocaust-Leugner verfasst hat. Es wird von einem englischen Verlag vertrieben, ist aber auch vollständig auf Internet geladen. Ebenfalls auf Internet wird die Zeitschrift «Recht+Freiheit» verbreitet. «Recht+Freiheit», vom «Presseclub Schweiz» herausgegeben, wird weiterhin von Ernst Indlekofer redigiert und weitgehend auch verfasst. Die Zeitschrift leugnet einerseits den Holocaust, andererseits hetzt sie gegen AusländerInnen.

Emil Rahm, ebenso unverbesserlicher wie scheinheiliger Antisemit, versandte im Frühsommer 1998 eine erste Nummer der Zeitschrift «Prüfen+Handeln», die vorwiegend EU-kritische Artikel enthält, aber auch gegen die Rassendiskriminierungs-Strafnorm anschreibt: «Die mögliche Bestrafung sachlicher Kritik macht das Volk mundtot» behauptet Rahm. Eine Aussage, die er konkretisiert: «Bücher mit sachlicher Kritik an einzelnen Personen und Gruppen sollen aber nicht verboten werden, weil Kritisierte einer bestimmten Rasse angehören.» Sind denn Juden eine Rasse und nicht etwa Angehörige einer monotheistischen Religion? In seinem Buchversand bietet Rahm weiterhin freimaurerfeindliche, antisemitische und verschwörungsphantastische Bücher an, darunter auch Bände, welche den Holocaust explizit in Frage stellen. Rahms Wirken wird auch bei den rassistischen Schweizer Hammerskins wahrgenommen und positiv gewürdigt.

Bereits vierhundert Nummern seines hektographierten Blättchens «Courrier du Continent» (Auflage zur Zeit rund 500 Exemplare) produzierte der Lausanner Altfaschist, Rassist und Holocaust-Leugner Gaston Armand Amaudruz. Weiterhin erscheint auch «Le pamphlet», herausgegeben vom Ehepaar Paschoud. Das Monatsblättchen berichtet wohlwollend über Holocaust-LeugnerInnen und sieht sich in der Tradition der demokratiefeindlichen Rechten. Weiterhin erscheint in Genf die deutschsprachige Zeitschrift «Euronews», die antisemitische Verschwörungsphantasien verbreitet. Wieweit ihr Herausgeber Alfred ins rechtsextreme Beziehungsnetz eingebunden ist, ist jedoch unklar. In mehreren Zirkeln treffen sich in der Romandie Vertreter der rassistisch inspirierten Neuen Rechten. Ihr bekanntester Vertreter ist der Genfer Anwalt Pascal Junod.

Organisierte Rechtsextreme

Die Strukturen rechtsextremer Skinheads haben sich weiter verfestigt. Die Skinhead-Szene ist im vergangenen Jahr gewachsen und aktiver geworden. Die Bundespolizei beispielsweise registrierte 1997 die Rekordzahl von 20 Skinhead-Treffen, oft als Parties oder als Konzert deklariert. Die Treffen erreichten kaum öffentliches Interesse. Die beiden grössten Konzerte, welche der ehemalige «Mjölnir»-Redaktor Oliver Kunz veranstaltete, mobilisierten jeweils mehrere hundert Glatzen. Erst die öffentliche Empörung über die Nachsicht bewog die Neuenburger Kantonspolizei, eine Warnung an Gemeinden und Vermieter herauszugeben.
In vielen dörflichen Gegenden, auch in kleinstädtischen Strukturen haben sich informelle rechtsextreme Cliquen und Grüppchen gebildet. Die Mitglieder sind nur zum Teil eingebunden ins nationale Beziehungsnetz. Diese Gruppen haben meist weder Statuten noch feste Vereinsstrukturen. Auch im Tessin sind im Herbst 1997 organisierte Skins aufgetaucht, einem tätlichen Skin-Angriff auf einen Mann aus Mali (Anfang Oktober 1997) folgte Mitte Oktober 1997 eine Demonstration gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Die zuständigen Behörden stellten auch eine vermehrte Einfuhr rechtsextremer Tonträger fest. Die Bundespolizei zählte 1997 ingesamt 45 Beschlagnahmungen von rechtsextremem Propagandamaterial. Die Spitze eines Eisberges: Mindestens vier Musikversände, zwei in der Deutschschweiz, zwei in der Romandie, versorgten die Szene mit rassistischen und/oder rechtsextremistischen Tonträgern. In deutschen Skin-Schriften inseriert auch ein CD-Geschäft aus dem liechtensteinischen Schaan. Gegen den «NK-Versand» betrieben vom einschlägig vorbestraften Hammer-Skin Reini Fischer, richtete sich im Februar 1998 eine Hausdurchsuchung.

In einem Grundsatzentscheid hat das Bundesgericht Ende April 1998 entschieden, dass – gestützt auf Art. 58 StGB – rassistisches und/oder gewaltverherrlichendes Material auch dann beschlagnahmt werden kann, wenn die Verantwortlichen in der Schweiz nicht bestraft werden können. Die Propagierung gewaltverherrlichender bzw. rassistischer Botschaften stelle ein Risiko für die öffentliche Ordnung dar, das ohne Beschlagnahmung nicht zu beseitigen sei. Die von der Beschlagnahmung betroffene Mjölnir Diffusion, betrieben vom Neuenburger Skinhead Olivier Kunz, inseriert aber weiterhin in ausländischen Naziskin-Publikationen. Auch kündigte er im Frühling 1998 die Herausgabe eines neues Kataloges an.

Weiter fortgeschritten ist die elektronische Aufrüstung der Schweizer Skins. Zwar verfügen diese im Sommer 1998 noch über keinen eigenen Internet-Auftritt, die Existenz verschiedener E-Mail-Adressen beweist jedoch, dass die szeneninterne Kommunikation mindestens zum Teil elektronisch abläuft. Seine nazifreundlichen Eintragungen in einschlägigen Gästebüchern wurden dem 28jährigen Beat Sahli, Leutnant der Schweizer Flugwaffe, zum Verhängnis. Er verbarg sich zwar meist hinter der Bezeichnung «Standarte Schweiz», hinterliess jedoch einmal seine E-Mail-Adresse. Kurze Zeit nach der Aufdeckung von Sahlis Aktivitäten erging im VBS (einst EMD) der Befehl zu Nachforschungen über rechtsextreme Offiziere in der Armee.

Die Hammer-Skinheads beanspruchen weiterhin die Führungsrolle innerhalb der Schweizer Glatzen-Szene. Im Herbst/Winter 1997/98 verfügten sie über ein «Nationales Infotelefon», über das zu verschiedenen Veranstaltungen in Deutschland, aber auch in Ungarn mobilisiert wurde. Anfang 1998 erschien auch wieder eine Nummer von «Hammer. Patriotische Zeitschrift der Schweizer Hammer-Skins». Ebenfalls Anfang 1998 erschien die erste Nummer von «Morgenrot. Das nationale Schweizer Skinhead Magazin», das über eine Postfachadresse im thurgauischen Landschlacht (bei Kreuzlingen) bezogen werden kann. Als erstes Heft der Szene genügt «Morgenrot» professionellen Ansprüchen in Layout und Druck. Beide Hefte verbreiten ungeniert nazistische und rassistische Ideologien.

In verschiedenen ländlichen Gebieten – auch im Fürstentum Liechtenstein – existieren lose Gruppierungen jugendlicher Rechtsextremisten. Opfer ihrer Gewalttätigkeit sind meist Gleichaltrige, entweder politische Gegner oder Jugendliche ohne Schweizer Pass. Auch in mehreren Hooligan-Gruppierungen (Fussball und Eishockey) treffen sich immer wieder Rechtsextreme, die ihre politische Überzeugung in den Stadien durch Hitlergrüsse, Transparent und Fahnen demonstrieren.

Die Nationale Initiative Schweiz (NIS), gegründet im April 1996, trat Anfang März 1997 erstmals öffentlich in Erscheinung, als sie in München den Schweizer Freiwilligen in der Waffen-SS gedachte: «Auch unsere 800 Kriegsfreiwilligen sind keine Verbrecher». Im Frühjar 1998 veranstaltete die NIS nach einer «Schaffenspause» einen «Kameradschaftsabend» mit dem deutschen Rechtsterroristen Manfred Roeder, den die NIS als «Freiheitskämpfer» ankündigte. Roeder zeigt sich nachher «freudig überrascht», was «für eine entschlossene und aufgeschlossene Jugend dort arbeitet». In ihrem Organ «Der Morgenstern» veröffentlichte die NIS im Frühjahr 1998 ein Interview mit dem Islamisten Ahmed Huber, der von den gleichen Zielen von Nationalen und Muslims spricht: «Da nun auch im Westen die Nationale Bewegung zunehmend erkennt, dass die Muslime ihrerseits seit Jahrzehnten gegen die Amerikanisierung und Zionisierung der Welt kämpfen, wächst bei der Nationalen Bewegung (und natürlich der Neuen Rechten) das Interesse an den Muslimen.»

Im Winter 1997/1998 erhielten die Schweizer, die in der Waffen-SS leisteten, eine apologetische Darstellung von Vincenz Oertle. Das Buch des Waffen-SS-Verniedlichers ziert ein Vorwort von Jürg van Wijnkoop, Oberauditor der Schweizer Armee. Der hohe Militär behauptet, «dass die Waffen-SS zwar nicht zu Unrecht in Nürnberg verurteilt wurde, aber doch nicht hinsichtlich der Gesamtheit ihrer Angehörigen über den gleichen Leisten geschlagen werden darf». Eine Botschaft, welche Rechtsextremisten gefällt: Die Waffen-SS war zwar verbrecherisch, aber ihr gehörten brave und rechtschaffene Männer an.

Ein beliebter Treffpunkt für Rechtsextreme zwecks Eindeckung mit einschlägigen Insignien ist weiterhin die Waffen-Börse Luzern. Der Messe-Veranstalter hat der Stadt Luzern (Hallenvermieterin) bereits mehrmals Kontrollen versprochen, sein Versprechen jedoch nicht eingehalten. Die Stadt ihrerseits verzichtet auf eine Kontrolle der Vertragsbestimmungen.

Abgeschottet von der Öffentlichkeit agiert die Gemeinschaft Avalon. In dieser Gemeinschaft treffen sich eine Vielzahl einschlägiger Exponenten: Skinheads und alte Nazis, ebenso NIS-Mitglieder und Holocaust-Leugner, auch gehört ihr der holocaust-leugnende Islamist Ahmed Huber an. Bekannt wurde, dass sie Mitte Oktober 1997 in der Ostschweiz ein Konzert mit dem bekanntesten deutschen Liedersänger der rechtsextremen Szene, Frank Rennicke, veranstaltete.

Hohe Zahl erfasster Vorfälle

Die Zahl der in der Chronologie erfassten Vorfälle ist in den vergangenen Jahren merklich angestiegen. Verzeichnet die Chronologie für das Jahr 1993 insgesamt 53 Vorfälle, stieg die Zahl im vergangenen Jahr bereits auf 107. Sie verdoppelte sich also innerhalb von vier Jahren. Mit einem signifikanten Anstieg ist für 1998 zu rechnen. Diese Chronologie erfasst allein für die ersten sechs Monate bereits 62 Vorfälle, davon 13 Einbürgerungsverweigerungen. (Zum Vergleich: Im gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres erfasste die Chronologie erst 33 Vorfälle.) Geändert hat sich der Charakter der erfassten Vorfälle: Verzeichnete die Chronologie zu Beginn der 90er-Jahre vor allem Brandanschläge und Gewalt gegen Personen, so erfasst sie heute vielfach rassistische und antisemitische Hetze, seit einigen Jahren vermehren sich aber auch die Auftritte und Zusammenkünfte von organisierten Rechtsextremen. Sprunghaft zugenommen haben die Einbürgerungsverweigerungen. Gleichzeitig machen nationalistische Fremdenfeinde Stimmung mit dem hohen Anteil der AusländerInnen an der Wohnbevölkerung.