Einschätzung der Situation 1997

Zürich, 31. Dezember 1997

Einschätzung der Situation 1997

Die vorliegende Chronologie rassistischer Vorfälle in der Schweiz bietet ein ambivalentes Bild: Die Zahl der erfassten Ereignisse ist 1996 – im Vergleich zum Vorjahr – von 95 auf 70 zurückgegangen. Ähnlich der Vergleich für die erste Jahreshälfte. Mussten wir 1996 in den ersten sechs Monaten 41 Vorfälle registrieren, sind es 1997 noch 33. (So weit das Erfreuliche im Unerfreulichen.) Unzweifelhaft wurde aber in den ersten zwei Monaten 1997 eine antisemitische Welle spürbar. Bei den ExponentInnen der jüdischen Gemeinschaft, wie auch auf Zeitungsredaktionen häuften sich antisemitische Zuschriften. Mindestens einen dieser anonymen Briefschreiber konnte die Polizei eruieren: Es handelte sich um einen 76jährigen Arzt, der in der Waffen-SS gedient hatte und sich als Mitglied des holocaustleugnenden Avalon-Kreises zu erkennen gibt.
Delamuraz` Äusserungen zum Jahresende 1996 weckten nicht nur einen latenten Antisemitismus. Offen geäusserter Antisemitismus hat in der Schweiz bereits seit Jahren zugenommen.

In esoterischen Buchläden war längere Zeit ein verschwörungsphantastisches Buch (Jan van Helsings «Geheimgesellschaften»), das sich unter anderem auf die «Protokolle der Weisen von Zion» stützt, ein Bestseller.
Die Gläubigen der theosophischen Sekte Universale Kirche folgten ihrem Patriarchen Peter Leach-Lewis, obwohl seine Durchsagen mit antisemitischen Passagen durchsetzt waren.
Die esoterische Zeitschrift «ZeitenSchrift», herausgegeben und redigiert von Ursula und Bernhard Seiler-Spielmann, beide Mitglieder der Universalen Kirche, publiziert regelmässig antisemitische Anspielungen und empfahl auch van Helsings «Geheimgesellschaften».
Der professionelle Tierschützer Erwin Kessler, Präsident und Angestellter des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), veröffentlichte im Vereinsblatt VgT-Nachrichten (Auflage 100’000) eine Vielzahl antisemitischer Auslassungen. Kessler nähert sich auch der kleinen Szene der Deutschschweizer Rechtsextremen an. Seinen LeserInnen empfahl er eine Publikation des Basler Holocaust-Leugners Jürgen Graf, wie auch die Zeitschrift «Recht+Freiheit», die auch schon Kesslersche Texte veröffentlicht hatte. Für den Fall einer Verurteilung wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm – sie erfolgte im Juli 1997 – hat Kessler einen noch «schonungsloseren» Kampf gegen die Juden angekündigt.

Publikationen und Verlage

Verschiedene Zeitschriften, die in der Schweiz hergestellt werden, verbreiten weiterhin ihre rechtsextreme, beziehungsweise antisemitische Botschaft. Seit über vierzig Jahren produziert der 76jährige Lausanner Altfaschist Gaston-Armand Amaudruz das hektographierte Blättchen «Courrier du continent». Die Auflage (rund 500) ist relativ gering, doch bietet das Heft viele Hinweise (samt Bezugsadressen) auf rechtsextreme Bücher und Hefte und fördert damit die Vernetzung der Szene.

In der welschen Schweiz erscheinen zwei weitere Publikationen aus dem rechtsextremen Dunstkreis. Das monatlich erscheinende Blättchen «Le pamphlet», betreut vom Lausanner Ehepaar Mariette und Claude Paschoud, berichtet wohlwollend über Holocaust-LeugnerInnen und schreibt gegen vermeintlich schädliche fremde Einflüsse. Die deutschsprachigen «Euronews», herausgegeben vom Genfer Werbeberater Alfred Künzli, schreiben gegen die Antirassismus-Strafnorm und verbreiten verschwörungsphantastische Auslassungen. Künzli, der immer wieder um Spenden für seine Zeitschrift bittet, verbreitet auch weiterhin den (vor allem bei Skinheads beliebten) Kleber «Hände weg von meiner Heimat».

In der deutschen Schweiz hat sich die Zeitschrift «Recht+Freiheit», redigiert vom ehemaligen SVP-Mitglied Ernst Indlekofer, zur Verteidigerin der Holocaust-Leugner entwickelt. Mitglied des «Presseclubs Schweiz», der offiziellen Herausgeberin der sechsmal jährlich erscheinenden Schrift, ist auch Holocaust-Leugner Jürgen Graf. Wieviele Mitglieder der «Presseclub Schweiz» zählt, ist unbekannt, ebenso, wer im Vorstand sitzt.

Die rechtsextreme Schweizer Szene verfügt auch über einen aktiven Buchverlag. Der «Neue Visionen Verlag», Würenlos, der von Gerhard Förster, einem ehemaligen Panzerkommandanten der Wehrmacht geführt wird, liefert trotz Strafverfolgung weiterhin die eingeklagten Bücher von Jürgen Graf. Im Winter 1996/97 kündigte er die Herausgabe zweier offensichtlich antisemitischer Publikationen an. Das Mitte Mai 1997 ausgelieferte Machwerk von Erich Glagau «Der baylonische Talmud» reiht sich in die Tradition antisemitischer Talmud-Zusammenstellungen ein. Der deutsche Rechtsextremist Glagau behauptet darin auch eine angebliche Weltverschwörung von Juden. Noch nicht ausgeliefert wird das Buch «Kurze Geschichte der ‘Protokolle der Weisen von Zion’», das von einem Mann namens Paul Waldburg (Pseudonym?) verfasst sein soll. Der Verlagsprospekt nährt die Befürchtung, dass es sich um eine weitere antisemitische Veröffentlichung handelt.

Phantastische Anspielungen über eine angebliche jüdische Weltverschwörung finden sich – wie seit Jahrzehnten – weiterhin in der Zeitschrift «Memopress», die vom SVP-Mitglied Emil Rahm heraugegeben wird. Trotz seiner Verurteilung wegen Widerhandlung gegen die Antirassismus-Strafnorm bietet Rahm auch weiterhin Bücher an, welche den Holocaust explizit in Frage stellen und die eine jüdische Weltverschwörung behaupten.

Holocaust-Leugner

Der Basler Jürgen Graf, der einzige Schweizer Holocaust-Leugner, dessen Schriften international wahrgenommen werden, verbreitet seine Texte seit Sommer 1996 auch über Internet und hat anfangs 1997 ein neues Büchlein veröffentlicht: «Das Rotbuch. Vom Untergang der Schweizerischen Freiheit». Es handelt sich um eine kurze Zusammenfassung bekannter Grafschen Platitüden.

Der fanatisierte Andres J. Studer, diesmal unter den Namen «Front der Antizionisten der Schweiz (FAZIS)» auftretend, forderte zu Beginn des Jahres 1997 in Flugblättern ein Verbot der Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des 1. Zionistenkongresses in Basel. Ebenfalls zum Jahreswechsel publizierte Studer ein hasserfülltes «Antizionistisches Manifest zum Schutz der Schweiz vor Verleumdern und Erpressern sowie zur Verteidigung des Christentums!».

Nur unregelmässig erschien «Aurora», das Organ der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Zeitgeschichte (AEZ). Zur AEZ hatten sich im Frühling 1994 die Holocaust-Leugner Arthur Vogt, Bernhard Schaub, Andres J. Studer und Jürgen Graf zusammengeschlossen.

Nicht genau einschätzen lässt sich die Tätigkeit von Marek Danowski, der mit seinem Verlag Danowski-Verlag vorgibt, eine Vielzahl von nationalsozialistischen Titeln liefern zu können.

Vorerst nur kurz dauerten die Aktivitäten des Buchversandes «Libre Réflexion» in Chatel-Saint-Denis. Im Frühling 1997 beschlagnahmte die Polizei beim Betreiber René-Louis Berclaz mehrere holocaustleugnende Bücher. Noch dieses Jahr muss der Buchhändler Aldo Ferraglia wegen Widerhandung gegen die Antirassismus-Strafnorm vor den Richtern erscheinen. Er hatte in seinem Geschäft in Montreux das holocaustleugnende Buch von Roger Garaudy angeboten.

Rechtsextreme Organisationen

Die Schweizer Hammer-Skinheads (SHS), welche innerhalb der rechtsxtremen Skinheads die Führung beanspruchen, beschäftigten sich 1996 vor allem mit dem Nachwehen ihres Überfalles auf eine antifaschistische Musikveranstaltung in Hochdorf LU. Bis auf drei Haupttäter sind die Beteiligten rechtskräftig verurteilt worden. Jene vierzig Skins, die zum Tatpunkt den 18. Geburtstag bereits gefeiert hatten, wurden zu Bussen und zu bedingten Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten verurteilt.

In ihrer Zeitschrift «Hammer. Patriotische Zeitschrift der Schweizer Hammerskins» kündigten die rassistischen Skins anfangs 1997 den Abschluss ihrer internen Umstrukturierung und weitere Aktivitäten an. Aufgefallen ist die gestiegene Mobilisierungsfähigkeit der Glatzen-Szene. Der demonstrative Aufmarsch im Niederdorf (5. April 1997) ist – gemäss den vorliegenden Informationen – innerhalb von wenigen Tagen organisiert worden.

In verschiedenen Gegenden der Deutschschweiz, meist in ländlicher und kleinstädtischer Umgebung, bestehen lokale Skinheadgruppen. Die Strukturen sind teilweise informeller Art. Feste Strukturen besitzen zwei Gruppierungen: Der Patriotische Ost-Flügel (POF), ein Zusammenschluss von Skins aus den Kantonen Thurgau, St.Gallen und dem Fürstentum Liechtenstein, produziert und verbreitet mehrere Kleber, die auch von der Nationalen Initiative Schweiz (NIS) weiterverbreitet werden. Eine kleine Skinhead- Szene besteht auch in der französischen Schweiz. Die Gruppe «Morgenstern», deren Mitglieder meist aus der Region Sempach LU stammen, betont gegen aussen nationalistische Biederkeit, doch sind die Morgenstern-Leute eingebunden in das Beziehungsnetz der Deutschschweizer Skinheads.

Erstmals seit vielen Jahren verbreitet wieder eine Skinhead-Band ihre rassistische Botschaft mit Musik. Die Song-Texte der Gruppe «Sturmtruppen», gebildet von drei Basler Skins und Hooligans, sind grob und ausländerfeindlich.

Neue rechtsextremistische Organisation

Nach langen Jahren des Winterschlafs schlossen sich Schweizer Rechtsextremisten 1996 wieder zu einer parteiähnlichen Organisation zusammen. Die Nationale Initiative Schweiz (NIS), gegründet Mitte April 1996, verfügt mit dem «Morgenstern» über ein eigenes Parteiorgan. Die NIS verlangt unter anderem eine «sofortige Aufhebung» der Antirassismus- Strafnorm, einen «sofortigen Einwanderungs- und Einbürgerungstopp» und eine «Verringerung der (ausländischen) Überbevölkerung». Eine NIS-Gruppe beteiligte sich am 1. März 1997 an der grossen Münchner Rechtsextremisten- Demonstration gegen die Ausstellung «Verbrechen der Wehrmacht». Im Januar 1997 agitierte in Deutschland der NIS-Präsident Mario Rigoni, Wettingen, ein ehemaliges Mitglied der Schweizer Demokraten, für eine Kundgebung gegen die Gedenkfeiern zum 1. Zionistenkongress.

Als ideologischen Beistand fassen Schweizer Rechtsextreme immer wieder die Publikationen der Neuen Rechten auf. Sei es Ulrich Schlüers «Schweizerzeit», seien es «Abendland» und «Medienpanoptikum», beide redaktionell betreut vom rechtskatholischen Multifunktionär Herbert Meier, Baden. In der französischsprachigen Schweiz unterstützte der Genfer Anwalt Pascal Junod, Aktivist in mehreren Organisationen der Nouvelle Droite, mit seinen beruflichen Fähigkeiten mehrmals Rechtsextreme. Ob dies mit einer weitergehenden politischen Zusammenarbeit einhergeht, ist zur Zeit nicht bekannt.

Die Nationalistische Rechte

Die nationalistischen Rechten wollen einerseits Menschen ohne Schweizer Pass von der Schweiz fernhalten, andererseits den schon in der Schweiz ansässigen AusländerInnen die gesellschaftlichen Rechte schmälern und den Zugang zum Schweizer Pass erschweren. Einbürgerungsgesuche von Menschen aus Staaten des ehemaligen Jugoslawien und der Türkei werden vielfach willkürlich abgelehnt. Der diskriminierende Diskurs erhält gelegentlich breite Unterstützung. Die von der Zürcher SVP im Wahljahr 1991 angekündigte Volksinitiative unter dem irreführenden Titel «gegen illegale Einwanderung« wurde am 1. Dezember 1996 nur mit 53 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Im Abstimmungskampf hatte die Bundesratspartei SVP mit fremdenfeindlichen Anspielungen (AsylbewerberInnen gleich kriminell) Abstimmungskampf betrieben. Einige Tageszeitungen weigerten sich, die schlimmsten Inserate anzunehmen.