Einschätzung 2017: Rassismus in der Schweiz

Zürich, 01. Februar 2017

«Hate Speech» und Diskriminierung

Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung sind keine Phänomene, die man mittels genauen Zahlen messen kann. Es lassen sich aber Tendenzen über die Jahre feststellen. Das betrifft vor allem Rassismus im Internet, ein Phänomen, das auch unter dem Begriff «Hate Speech» bekannt ist und in den vergangenen 15 Jahren massiv zugenommen hat. Es scheint, als fühlten sich User mitunter völlig frei von gesellschaftlichen Konventionen und Anstandsregeln, und so fluchen und pöbeln sie munter darauf los, immer öfter auch mit ihrem richtigen Namen und Social-Media-Profil. Die vermeintliche Anonymität im Internet lässt die Hemmschwelle dessen, was gerade noch gesagt werden darf, stark sinken. Dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist, geht dabei noch immer oft vergessen.

Auch für Medienunternehmen stellt sich mit dieser Entwicklung vermehrt die Frage, wie mit solchen Hasskommentaren zu digitalen Zeitungsartikeln umgegangen werden soll. Die GRA hat bei verschiedenen Zeitungsredaktionen nachgefragt und folgendes erfahren: Sowohl «20 Minuten» wie auch die «Südostschweiz» setzen auf das Gegenlesen der Kommentare. Online-Kommentare auf «suedostschweiz.ch» gelangen in eine Warteschlange und werden erst nach einer Überprüfung freigeschaltet. Zusätzlich ist es der «Südostschweiz» wichtig, dass hinter den Autoren keine Pseudonyme stehen. Auch bei «20 Minuten» werden die Kommentare vor allem bei heiklen Themen gegengelesen. Die Schwierigkeit bei dieser Methode besteht jedoch darin, dass die Einschätzung der Kommentare stark abhängig ist von der gegenlesenden Person und wohl auch angezweifelt werden muss, ob tatsächlich alle Kommentare durchgelesen werden können.

Bezüglich Leserbriefen entwickelte die «Aargauer Zeitung» noch eine weitere Strategie. Die Redaktion versucht inhaltlich wertvolle Beiträge, die jedoch vereinzelt kritische Begriffe beinhalten, durch Streichen oder Ersetzen der kritischen Begriffe zu «retten», damit sie doch noch publiziert werden können.

Die «Neue Zürcher Zeitung» wählte folgende Vorgehensweise: Seit Februar 2017 ist die Kommentarspalte bei den meisten Artikeln nicht mehr vorhanden. Nur bei drei Texten täglich ist es möglich, mitzudiskutieren, und die Diskussionen werden von der NZZ moderiert und begleitet. Damit wird auf Debatten statt Beschimpfungen gesetzt.

Die Kurzumfrage zeigt auf, dass die Zeitungen das Problem von «Hate Speech» grundsätzlich erkannt haben und auch versuchen, dagegen vorzugehen. Die Thematik ist jedoch heikel und gewisse Vorgehensweisen bergen die Gefahr, dass das leichtfertige Löschen als (zu) starker Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit gewertet wird. Andererseits gilt es, rassistische oder diskriminierende Kommentare zu unterbinden. Alle von der GRA angefragten Zeitschriften versuchen, gegen Hasskommentare vorzugehen und erachten dies auch als ein wichtiges Thema.

Auch die Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes (FRB), die 2017 ihren alle zwei Jahre erscheinenden Bericht über rassistische Diskriminierung in der Schweiz veröffentlicht hat, hält in ihrem von Bundesrat Alain Berset verfassten Vorwort fest, dass Diskriminierungen im täglichen Zusammenleben häufig subtil und verdeckt erfolgten, im Internet und in den sozialen Netzwerken aber zunehmend auch offen und aggressiv. «Es ist unsere ständige Aufgabe als Gesellschaft, auf Diskriminierungen zu reagieren – mit offener Gegenrede und, falls gegen Gesetze verstossen wird, auch mit rechtlichen Mitteln», so Berset. Weiter kommen die Autoren des Berichtes zum Schluss, dass «sich negative Einstellungen gegenüber Ausländerinnen und Ausländern sowie Minderheiten trotz verstärkter Politisierung des Themas Immigration nicht signifikant zu verändern scheinen».

GRA-Chronologie 2017

Die Chronologie der rassistischen Vorfälle, welche die GRA zusammen mit der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS) herausgibt, registrierte 2017 insgesamt 39 Vorfälle, die schweizweit von den Medien aufgenommen wurden. Das Medien-Monitoring gibt somit eine generelle Stimmung in der Schweiz wieder und lässt sich insofern mit der Anzahl Vorfälle der Vorjahre vergleichen, hat aber keinen Anspruch auf statistische Vollständigkeit. Nicht in den 39 Vorfällen enthalten sind die zahlreichen Fälle, welche nicht unter das eigentliche Medienmonitoring fallen, der GRA aber beinahe täglich gemeldet werden. Es handelt sich dabei vornehmlich um «Hate Speech», also rassistische Vorfälle im Internet, darunter zum Beispiel rassistische Leserkommentare bei Online-Zeitungen (gegenüber Ausländern, Schwarzen, Muslimen, Juden) oder auf Social-Media-Profilen von rechten Politikern und Privatpersonen. Ausserdem wurden vereinzelt Blogs mit neonazistischen Inhalten gemeldet oder Plakate, die für einen Anlass warben (wie zum Beispiel mit einem Kopf eines Schwarzen für die Fasnacht). Aber auch Sprayereien auf der Strasse wie «Nigger go home» in Zürich oder rassistische und antisemitische Flyer, die in Briefkästen landeten, wurden der GRA gemeldet.

Wenn es um «Hate Speech» geht, dann unterstützt die GRA User dabei, Hassbotschaften zu melden oder zu dokumentieren. Ausserdem soll über die Meldefunktionen in den jeweiligen sozialen Netzwerken und Online-Zeitungen oder mittels der richtigen Argumentation (sog. «Counter Speech») auf «Hate Speech» reagiert werden. Verletzt ein Hasskommentar eventuell die Rassismus-Strafnorm, so sollen User diesen via Screenshot direkt der zuständigen kantonalen Staatsanwaltschaft weiterleiten. Blogs oder Webseiten mit rassistischen Inhalten können auch der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität KOBIK in Bern gemeldet werden.

Das Thema ist für Schweizer Userinnen und User von hoher Brisanz ‒ das zeigen die vielen Meldungen, die die GRA fast täglich erhält. Deshalb hat sich die Stiftung 2017 auch verstärkt der Verlagerung von jeglicher Form von Diskriminierung ins Netz gewidmet und u.a. einen Leitfaden zu «Hate Speech» herausgegeben, der an über 2000 Schulen in der ganzen Schweiz verschickt wurde. Der Leitfaden fasst nochmals zusammen, wie man «Hate Speech» überhaupt erkennt und wo man verunglimpfende und rassistische Inhalte melden kann. Ausserdem gibt er Tipps, wie man bei heiklen Diskussionen im Internet die eigene Privatsphäre schützen kann. Der Leitfaden kann hier heruntergeladen werden: https://gra.ch/bildung/hate-speech/.

Auch der Dezember-Newsletter der GRA widmete diesem Thema einen Fokus: https://chronologie.gra.ch/GRA_Newsletter_Dezember_2017.html

Die GRA hat vor kurzem zudem einen Informationsanlass mit ausgewählten Experten zum Thema «Hate Speech» abgehalten. Dabei betonte die Referentin, Maya Hertig Randall, Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Genf, wie wichtig eine gesetzliche Regulierung und Ahndung von Hassreden im Internet seien, denn es gehe dabei um den Schutz verletzlicher Minderheiten vor Diskriminierung, Herabwürdigung und Ausgrenzung. Hassrede sei für die Betroffenen oftmals wie ein Schlag ins Gesicht.

In Deutschland ist seit dem 1. Januar ein neues Gesetz in Kraft, das Hassreden im Internet stärker verfolgen und ahnden soll. Konkret sollen Netzwerke dazu gezwungen werden, Hassreden konsequenter und rascher zu entfernen. Kritiker monieren jedoch, die Meinungsäusserungsfreiheit werde mit dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz, auch «Facebook-Gesetz» genannt, massiv beschränkt.

In der Schweiz hat der Bundesrat im Dezember 2017 eine Stellungnahme zum Thema «Hassrede auf sozialen Netzwerken» veröffentlicht und äusserst sich folgendermassen:

«Es stellt sich die Frage, inwiefern die Bestimmungen zur Regelung der analogen Welt auf die digitale Welt angewendet werden und in der digitalen Welt tatsächlich durchgesetzt werden können. Der Bundesrat hat sich in den letzten Monaten im Rahmen parlamentarischer Vorstösse bereits mehrmals zu diesem Thema geäussert (…).» Und weiter: «Die Schwierigkeiten bei der Anwendung der bestehenden Normen auf die sozialen Netzwerke ergeben sich vor allem aus dem grenzüberschreitenden Charakter dieser Dienste. Denn wenn kein Anknüpfungspunkt zur Schweiz besteht, ist eine Anwendung des Schweizer Rechts aufgrund des Territorialitätsprinzips nur beschränkt möglich. Darüber hinaus werfen die Löschung und Sperrung von Nachrichten auf sozialen Netzwerken rein auf Grundlage von Meldungen durch die Benutzerinnen und Benutzer ohne Verwaltungs- oder Gerichtsentscheid heikle Fragen bezüglich der Vereinbarkeit mit den Grundrechten, namentlich der Meinungsäusserungsfreiheit, auf.»

Auch der deutsche Experte für Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien im Internet, Johannes Baldauf, sieht wenig Sinn im Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland, denn «Hate Speech» sei immer «gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit» und ein grundsätzlich gesellschaftliches Problem, welchem man mit dem Strafrecht alleine nicht beikommen könne.

Die GRA wird sich dem Thema Hassrede in der digitalen Welt weiterhin intensiv durch Schwerpunktberichte und Fachanlässe widmen; eine systematische Durchforschung des Internets ist jedoch schwierig und wäre auch statistisch wenig aussagekräftig. Denn leider gilt hier: Je mehr man sucht, umso mehr findet man.

Rassistische Vorfälle, welche in den Medien keine Beachtung finden, werden auch durch das «Beratungsnetz für Rassismusopfer» – koordiniert von humanrights.ch/MERS und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) – jährlich in einem Bericht zu rassistischen Vorfällen aus der Beratungspraxis publiziert. In diesen Berichten werden Fallgeschichten ausgewertet, welche von den angeschlossenen Beratungsstellen in einer gemeinsamen Datenbank anonymisiert erfasst wurden. Zudem publiziert die EKR jeweils im Frühsommer ihren Jahresbericht, in dem internationale und nationale Urteile und Entscheide zu rassistischer Diskriminierung in den verschiedenen Lebensbereichen dargelegt werden.

Antisemitismus

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der antisemitische Vorfälle sammelt, verzeichnete 2017 39 als antisemitisch eingestufte Vorfälle, wobei das Internet separat analysiert wird. Diese Zahl betrifft also nur Vorfälle ausserhalb des Internets, welche dem SIG gemeldet oder in den Medien erwähnt wurden. Am gravierendsten waren 2017 drei tätliche Angriffe auf Juden und drei Nazi-Plakate über Schweizer Autobahnen. Der vollständige Antisemitismus-Bericht des SIG befindet sich unter www.antisemitismus.ch.

Islamophobie

Die Trägerschaft verschiedener muslimischer Verbände und Gemeinden in der Schweiz hat 2017 erstmals eine Pilotstudie in Auftrag gegeben, welche die Diskriminierungserfahrungen von Musliminnen und Muslimen in der Schweiz untersuchen sollte.

Die Studie, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut gfs Bern, kommt zum Schluss, dass Muslime in der Schweiz Rassismus und Islamfeindlichkeit klar mehrheitlich als Problem wahrnehmen und sich verbreitet diskriminiert fühlen.

So verhalte sich eine Mehrheit (der Muslime, Anm. d. A.) im Alltag «bewusst zurückhaltend, um als Muslim nicht aufzufallen». Und: «Klare Mehrheiten erleben eine Distanz zwischen Christen und Muslimen. Trotz fehlender Anerkennung und empfundener Diskriminierung als Gruppe bestätigen 78 Prozent, dass Muslime in der Schweiz als Einzelpersonen integriert sind. 69 Prozent geben für sich selbst an, mit dem Leben in der Schweiz zufrieden zu sein. Allerdings liebäugelt ein Drittel damit, die Zukunft nicht in der Schweiz zu verbringen.»

Die Studie hält weiter fest, dass eines der Hauptprobleme «im öffentlichen Umgang mit der muslimischen Gemeinde» liege; so halten 81 Prozent der Befragten Rassismus in der Schweiz für ein ernstes oder sehr ernstes Problem. 74 Prozent finden, die Schweiz unternehme zu wenig gegen Rassismus (10% gerade das Richtige, 1% zu viel) und 83 Prozent stimmen der Aussage voll oder eher zu, dass Muslime in der Schweiz diskriminiert werden.

Das Institut gfs Bern betont allerdings, dass Türken, Deutschschweizer Muslime und Konservative bei der Befragung übervertreten gewesen seien. Deshalb müsste die Studie «in einem erweiterten Setting wiederholt werden, um die Repräsentativitätskriterien vollständig zu erfüllen.» Und weiter: «Es braucht dafür mehr Befragte aus Albanien und Bosnien und mehr Befragte mit asiatischer oder afrikanischer Herkunft», so die Autoren.

Denn es gibt auch andere Zahlen: So gingen im letzten Jahr die Zahl der Verurteilungen wegen Rassendiskriminierung gegen Muslime von acht auf sechs Fälle zurück. Ausserdem meldeten sich weniger Muslime wegen Diskriminierung bei einer Beratungsstelle. Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft kommt ebenfalls zum Schluss, dass die Pauschalisierung in Zeitungsartikeln über Muslime seit dem Jahr 2009 abgenommen habe.

Der eingangs erwähnte FRB-Bericht des Bundes über rassistische Diskriminierung in der Schweiz, der vom Bundesamt für Statistik (BFS) ausgewertet wurde, zeigte allerdings ebenfalls auf, dass Islamfeindlichkeit in der Schweiz verbreitet ist. So schreiben die Studienleiter: «Von den drei Bevölkerungsgruppen, die bei der Erhebung betrachtet wurden, konzentrieren sich soziale Spannungen am stärksten auf Musliminnen und Muslime. Während 17 Prozent der Bevölkerung die Aussagen zu den negativen Eigenschaften von muslimischen Menschen als zutreffend empfinden, ist dieser Anteil bei den Aussagen zur jüdischen (12%) bzw. schwarzen (4%) Bevölkerungsgruppe deutlich geringer. Die Feindlichkeit gegenüber Musliminnen und Muslimen (14%) ist höher als der Anteil der gegenüber schwarzen (10%) bzw. jüdischen Personen (8%) feindlich gesinnten Personen. Noch ausgeprägter als die Feindlichkeit gegenüber der muslimischen Bevölkerungsgruppe ist jedoch das Misstrauen gegenüber dem Islam (2016: 33%).»

Insgesamt zeigt die Auswertung des BFS, dass «die Bevölkerung tendenziell ein positives Bild der Integration von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz hat. Rassismus wird als ernstes gesellschaftliches Problem wahrgenommen und 34% der Befragten denken, dass mehr dagegen unternommen werden müsste. Dafür zuständig ist ihrer Ansicht nach in erster Linie der Staat, danach aber auch jede und jeder Einzelne sowie die Politik.»

Insgesamt nahmen 36 Prozent die Anwesenheit von als «anders» empfundenen Personen als störend wahr. Sechs Prozent gaben an, sich im Alltag durch Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Nationalität gestört zu fühlen. Etwa jede und jeder Zehnte stört sich wegen der anderen Religion oder der anderen Sprache. Gar 21 Prozent betrachten Menschen mit nicht sesshafter Lebensweise als störend.

Rassismus gegenüber schwarzen Menschen

Im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB hat eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern unter der Leitung des Schweizerischen Forums für Migrationsfragen (SFM) die individuellen, institutionellen und strukturellen Dimensionen des Rassismus gegenüber Schwarzen in der Schweiz untersucht.

Untersucht wurden 115 Fälle, bei denen die Justiz eingeschaltet wurde, und 201 Konfliktfälle aus der Beratungspraxis. Sehr häufig würden dabei, so die Autoren, die Worte «Neger», «Halbneger», «Bimbo» oder «Schoggi-Kopf» benutzt. Betroffene würden auch oft animalisiert (z.B. «Negersau») oder sexualisiert (z.B. «Niggerschlampe»). «Dabei wird den Worten nicht selten Nachdruck verliehen mit schwerwiegender physischer Gewalt», schreiben die Autoren weiter.

Die Rassismus-Strafnorm gemäss Art. 261bis StGB wird von der schwarzen Bevölkerung selten beansprucht; und so sind es gemäss Studie erstaunlicherweise erst 57 Schuldsprüche, die Rassismus gegen Schwarze betreffen. «Für schwarze Menschen ist der Rechtsweg weitestgehend ein untaugliches Mittel, um sich gegen Rassismus zur Wehr zu setzen», heisst es in der Studie dazu. Die Hürden seien grundsätzlich hoch, die Aussicht auf Erfolg ungewiss. «Ein gewichtiger Grund, weshalb der Rechtsweg nicht attraktiv erscheint, ist die Angst, öffentlich mit rassistischen Gegenreaktionen konfrontiert zu werden», so die Autoren weiter. Sie führten im Rahmen der Studie auch Interviews mit 42 Integrationsfachstellen. «Auf die Frage, ob schwarze Menschen in der Schweiz regelmässig rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, antworteten 32 mit Ja», heisst es. «Am häufigsten nannten die Integrationsfachstellen die Bereiche Wohnen und Polizei.» Auch bei der Arbeit, im ÖV, in den Medien oder im öffentlichen Raum komme es «eher häufig» zu Diskriminierungen. Meist äussere sich diese durch Beschimpfungen, aber auch durch physische Gewalt oder unterlassenen Schutz.

Rechtsradikalismus

Seit sich im Herbst 2016 über 5000 Neonazis aus ganz Europa in Unterwasser im Kanton St. Gallen zu einem Neonazi-Konzert treffen konnten, sind Behörden und Polizei, aber auch die Bevölkerung für dieses Thema sensibilisiert. Anfang 2017 fand im Kanton Luzern zwar wiederum ein Konzert statt, wo sich um die 150 Skinheads trafen – allerdings wurde das Konzert von der Luzerner Polizei streng bewacht und die angekündigten Auftritte der italienischen Neonazi-Band Bronson und des vorbestraften deutschen Neonazi-Rappers Makss Damage verhindert. Diverse kleinere Veranstaltungen, in deren Rahmen rechtsextreme Musiker auftraten, sorgten in den nachfolgenden Wochen für mediale Aufmerksamkeit, vor allem weil es den Organisatoren immer wieder gelang, die Veranstaltungen trotz Einreiseverboten und Polizeipräsenz durchzuführen.

Der Präsident der GRA-Stiftung, Pascal Pernet, hat sich in einem Gastkommentar in der NZZ zur Durchsetzung der Rassismus-Strafnorm im Zusammenhang mit Neonazi-Konzerten geäussert.: https://gra.ch/wp-content/uploads/2015/09/Die-Strafnorm-durchsetzen-Gastkommentar-PP-NZZ-21.2.17.pdf.

Die rechtsextreme Szene in der Schweiz ist seit Jahren stabil; die Fluktuation ist allerdings hoch, da sich vor allem junge Männer in der Szene bewegen. In den letzten Monaten wurden zudem immer wieder Meldungen publik, wonach vereinzelt Mitglieder am rechten Rand der SVP mit einem Fuss in der rechtsextremen Szene stehen oder in der Vergangenheit dort verkehrten, d.h. Rechtsradikale versuchen immer wieder, in der Partei unterzukommen. Obwohl die SVP in gewissen Fällen darauf reagiert, hat sie bis anhin nicht genügend Präventionsmittel entwickelt, um solche Prozesse proaktiv zu verhindern.

Zudem sind 2017 an diversen Orten in der Schweiz rechtsradikale Flugblätter aufgetaucht, die gegen Ausländer, Juden oder Muslime hetzten.

Der Nachrichtendienst des Bundes schreibt in seinem Lagebericht 2017 über Rechts-und Linksextremismus:

«Seit Jahren entspannt sich die Lage im Bereich Gewaltextremismus tendenziell; Ereignisse im Bereich Rechtsextremismus sind selten, im Bereich Linksextremismus immer noch häufig. An dieser Grundsituation ändern einzelne, von medialer Aufmerksamkeit begleitete Ereignisse nichts. Diese zeigen aber, dass unverändert Gewaltpotenzial vorhanden ist; die Lage könnte sich demnach rasch verschärfen. Stärkere Migrationsbewegungen in die Schweiz, ein dschihadistisch motivierter Terroranschlag hierzulande oder eine dramatische Entwicklung hauptsächlich in den türkischen und syrischen Kurdengebieten könnten zu gewaltsamen Protesten, Anschlägen und Übergriffen aus den gewaltextremistischen Szenen führen. Es gilt im Bereich Rechtsextremismus zu verhindern, dass die Schweiz als Durchführungsort für Konzerte und andere Veranstaltungen an Attraktivität gewinnt.» Und weiter: «Veranstaltungen und Treffen (von Rechtsradikalen, Anm. d. Autors) finden auch ohne musikalischen Rahmen statt. Den öffentlichen Auftritt suchen die Rechtsextremen nicht, Demonstrationen, Aufmärsche und Provokationen sind selten, folgen zum Teil aber langjähriger Routine.

Antiziganismus

Wie die Organisation Radgenossenschaft der Landstrasse 2017 in einer Mitteilung schrieb, stellen die Jenischen und Sinti «in der Schweiz einen wachsenden Rassismus fest». Insbesondere stört sich die Dachorganisation an der pauschalen Bezeichnung «Fahrende». In allen drei ethnischen Minderheiten – den Jenischen, Sinti und Roma – gebe es solche, die ihrem Erwerb in Wohnwagen nachgehen sowie Sesshafte. «Und es gibt in jeder Ethnie anständige und unanständige Menschen wie überall.»

Indem unterschiedslos «Fahrende» für Missstände jeder Art verantwortlich gemacht würden, werfe man die Angehörigen aller Minderheiten in einen Topf und hetze sie zugleich gegeneinander auf, schreibt die Radgenossenschaft weiter.

Den wachsenden Rassismus bekämen die ethnischen Minderheiten bereits beim einfachen Hausieren zu spüren. Dieses werde angesichts des wachsenden Misstrauens schwieriger.

Auch scheitere die Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen regelmässig am Nein der Gemeinden. Wenn Bauern trotzdem bereit wären, Land für Gruppen reisender Gewerbetreibender zur Verfügung zu stellen, «versuchen Gemeindebehörden, ihnen das mit windigen Argumenten zu verbieten».

Es gibt tatsächlich noch immer viel zu wenig Stand- und Durchgangsplätze für Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz. Die Behörden tun sich schwer, die notwendigen Vorgaben für genügend Plätze umzusetzen, und die Gemeinden und die Bevölkerung stellen sich oftmals quer, wenn es um die Erstellung von Stand- oder Durchgangsplätzen geht. Exemplarisch war dabei im letzten Jahr der Ort Wileroltigen: Für die kleine Gemeinde im Kanton Bern war der Sommer 2017 alles andere als normal. Im Juni besetzten ein paar Hundert Roma ein Landstück neben der A1-Raststätte und sie blieben bis in die erste Augusthälfte. Danach wollte der Kanton Bern den illegalen Zustand legalisieren und aus der Wiese einen definitiven Transitplatz für ausländische Fahrende bauen. Die Bevölkerung ging auf Barrikade. Die Gemeinde ist ein Exempel für die Situation in vielen Gemeinden der Schweiz. Denn es fehlen schweizweit Plätze aller Art. Es fehlen Plätze für 80 bis 100 Caravans, also für grosse Gruppen, davon gibt es bisher im Land nicht einen einzigen. Es fehlen Durchgangsplätze für Familienverbände von 8 bis 12 Wohnwagen; die Zahl dieser Plätze hat massiv abgenommen, wie die Zeitung der Radgenossenschaft der Landstrasse «Scharotl» in ihrer letzten Ausgabe schreibt. Es fehlt auch Lebensraum im Winter, die Standplätze Bern-Buech und Eichrain in Zürich sind überfüllt.

Die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS) leistet einen Beitrag zur Stärkung der Position der Jenischen und Sinti in der Schweiz. Sie setzt ein Augenmerk auf die Durchsetzung der Grundrechte der nationalen Minderheiten, zu denen Jenische und Sinti gehören, und bietet ihre Dienste als Gesprächspartner oder Vermittler den Gemeinden an. Mit der Informationsbroschüre «Fahrende auf Privatland» und dem dazugehörigen Mustermietvertrag leistet die GMS einen aktiven Beitrag zur Stärkung der rechtlich geschützten Tradition der fahrenden Minderheiten – dem «Spontanhalt».

Der Spontanhalt ist der befristete Aufenthalt einer Gruppe von Jenischen, Sinti oder Roma auf Privatgrund, in Wohnwagen und zu gewerblichen Zwecken. Jenische und Sinti, als anerkannte nationale Minderheiten, sollen dabei ein Anrecht auf den Schutz ihrer Lebensweise auch in der Schweiz haben.

Schlussbemerkung

Wie eingangs erläutert, ist das Internet mit seinen diversen Plattformen seit vielen Jahren schon der Hauptverbreitungsort für verbalen Rassismus und Antisemitismus.

Die mühelose Zugänglichkeit von diskriminierendem Material und Posts im Internet, das rasende Tempo, in welchem die Texte zirkulieren sowie die Fülle an Texten macht die Netzkommunikation zu einem wichtigen Umschlagplatz für Hass jeglicher Couleur.

Hassrede im Internet ist immer ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Gefährlich dabei: Diffamierende Hassrede verletzt und grenzt aus. Schlimmstenfalls kann sie nonverbale Gewalt realisierbar machen. Gesetze alleine packen das Problem nicht an der Wurzel; dafür braucht es zivilgesellschaftliches Engagement, sei es in Form von Organisationen, welche eine Watchdog-Funktion übernehmen oder von Beschwerdestellen, an die man sich im Zweifelsfalle und bei klarem «Hate Speech» wenden kann. Darüber hinaus sollte sich jeder als potentiell Betroffener seiner Verantwortung im digitalen Raum bewusst sein.

Die Chronologie der GRA wird dabei auch in Zukunft ihre zentrale Aufgabe als Watchdog wahrnehmen und rassistische, fremdenfeindliche und diskriminierende Vorfälle in der Schweiz kritisch bewerten und systematisch nach erprobten Kriterien und Kategorien auflisten, damit aktuelle diskriminierende Vorfälle in der Schweiz sichtbar gemacht und für die nachfolgenden Generationen festgehalten und archiviert werden.